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07.02.2021

«Mein Vater war gegen das Frauenstimmrecht»

1994: Die Feministin Pia Hollenstein im Nationalrat. (Bild: zVg)
1994: Die Feministin Pia Hollenstein im Nationalrat. (Bild: zVg) Bild: zVg
Heute vor 50 Jahren wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Die St.Gallerin Pia Hollenstein erinnert sich noch gut an diesen Tag.

Am 7. Februar 1971 – 53 Jahre nach Deutschland, 52 Jahre nach Österreich, 27 Jahre nach Frankreich und 26 Jahre nach Italien – führt die Schweiz das Frauenwahl- und Stimmrecht ein. Dafür war ein langer und harter Kampf nötig. 

Die St.Gallerin Pia Hollenstein war zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt und erinnert sich noch heute an den historischen Tag. Es sei auch der Grund gewesen, warum sie später selbst in die Politik gegangen ist. Von 1991 bis 2005 vertrat die heute 70-Jährige die Grünen im Nationalrat. Im Interview blickt Hollenstein auf eine ereignisreiche Zeit zurück.

Pia Hollenstein, welche Gefühle kommen bei Ihnen auf, wenn Sie sich an den 7. Februar 1971 erinnern?

Es stimmt mich traurig, wenn ich daran denke, dass es so lange gedauert hat bis die Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt hat. Ein Land, dass sich Demokratie auf die Fahne geschrieben hat –und dann ist die Abstimmung im Jahr 1959 gescheitert. Der Kanton St.Gallen hatte das Begehren auch 1971 noch abgelehnt. Das ist oberpeinlich! Aber Frauen können stolz darauf sein, dass sie so hart für dieses Recht gekämpft haben.

Woran hat es gelegen?

Es war eine Machtfrage. Niemand gibt gerne Privilegien ab. Ausserdem hatte es etwas mit dem Rollenbild der Frau, welches damals herrschte, zu tun – und mit fehlender Wertschätzung gegenüber den Frauen. 

Wie würden Sie denn das Frauenbild von damals beschreiben?

Man hat jeweils von den «Drei K» gesprochen. Also: Kinder, Kirche und Küche. Frauen sollten den Nachwuchs so erziehen, wie es die Kirche vorgibt, und sich um den Haushalt kümmern. In der Politik hatten sie nichts verloren. Es waren einfach konservative und rückständige Wertvorstellungen.

Pia Hollenstein im Jahr 1994 mit Hugo Wick (CVP). Bild: zVg

Was macht das mit einer jungen Frau?

Es hat mich auf die Palme getrieben. Sogar mein Vater war gegen das Frauenstimmrecht! Ich hatte immer einen grossen Gerechtigkeitssinn und habe rebelliert. Es hat mich empört, dass Männer immer mehr Privilegien hatten als Frauen – und so dass das von vielen so selbstverständlich hingenommen wurde. 

Sind Sie deshalb in die Politik gegangen?

Ja, all diese Ereignisse hatten mich politisiert. Mit 37 habe ich dann beschlossen, mich parteipolitisch zu engagieren. Von 1991 bis 2005 habe ich die St.Galler Grünen im Nationalrat vertreten. Ich habe mich stets bemüht, konsequent für eine ökologische, soziale, feministische und friedfertige Zukunft einzustehen, weil ich glaube, dass all diese Themen eng miteinander verbunden sind. 

«Man hat jeweils von den «Drei K» gesprochen: Kinder, Kirche und Küche.»
Pia Hollenstein über das Frauenbild im Jahr 1971
Pia Hollenstein engagiert sich noch heute politisch. Beispielsweise ist sie bei den Klimaseniorinnen im Vorstand. Bild: zVg

Mit dem Frauenstimmrecht kam der Ball aber ins Rollen, oder?

Ja, es gab einige Errungenschaften – und Frauen haben ein Gehör in der Politik erhalten. Das hatte Auswirkungen auf das Gesetz. Beispielsweise kam 1981 der Gleichstellungsartikel, 1988 das Eherecht, 1996 das Gleichstellungsgesetz, 2004 der Erwerbsersatz bei Mutterschaft und einige mehr.

Sind Sie stolz darauf?

Es geht. Im Gesetz ist zwar einiges passiert, aber in der Umsetzung bzw. in der Praxis hapert es noch. Wir haben immer noch unbegründete Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen, Benachteiligungen bei der Sozialversicherung sowie viel Care-Arbeit, die grösstenteils von Frauen erledigt und nicht entschädigt wird. Und dann ist da noch die patriarchale Sprache! 

Das hört sich nach viel Arbeit an. Blicken Sie trotzdem zuversichtlich in die Zukunft?

Kürzlich habe ich mitgekriegt, wie ein sechsjähriges Mädchen gesagt hat, dass sie Bundesrätin werden möchte. Das war zu meinen Zeiten unvorstellbar. Für sie ist das heute gar keine Geschlechterfrage mehr – das macht mir Hoffnung!

 

Miryam Koc