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21.09.2021
06.05.2022 15:37 Uhr

«Das Allerheiligste preiszugeben, braucht sehr viel Mut»

Jonny Fischer hat bei einem Lachner Verlag seine Biografie veröffentlicht.
Jonny Fischer hat bei einem Lachner Verlag seine Biografie veröffentlicht. Bild: Bruno Augsburger
Jonny Fischer vom Cabaret-Duo Divertimento hat seine Biografie «Ich bin auch Jonathan – Die Geschichte einer Versöhnung» veröffentlicht. Darin erzählt er von seiner Kindheit in einer streng christlichen Familie, von den Alkoholexzessen, seinem Outing und dem Wendepunkt.

Wie kam es dazu, dass ein Buch über Ihr Leben geschrieben wurde?

Es war nie mein Plan, ein Buch zu schreiben. Ich wollte vor meinem 40. Geburtstag mein Leben reflektieren und den Rucksack, der sich über die Jahre gefüllt hat, final ablegen. Vor fünf Jahren habe ich begonnen, alles niederzuschreiben, habe dann aber gemerkt, dass ich mit mir selbst zu wenig streng bin. Deshalb war ich froh, dass die Autorin Angela Lembo-Achtnich mich angefragt hat. Bis vor zwei Monaten wussten wir aber nicht, ob das Buch wirklich erscheint. Ursprünglich hätte es vor einem Jahr erscheinen sollen. Wir haben es dann aber nochmals überarbeitet und erst jetzt veröffentlicht.

Wie oft haben Sie gezweifelt, ob Sie das Buch wirklich veröffentlichen möchten?

Der Zweifel bleibt. Das ist wie bei Divertimento. Wenn wir ein neues Programm schreiben, wissen wir zu Beginn auch nicht, ob wir das dann wirklich auf die Bühne bringen. Und je näher die Veröffentlichung des Buches kam, umso mehr habe ich mich gefragt, ob ich das wirklich machen soll und ob es das Richtige ist. Jetzt kann ich nicht mehr zurück und bin froh, dass es endlich draussen ist. Denn das Allerheiligste preiszugeben, braucht sehr viel Mut.

Was wollen Sie mit dem Buch erreichen?

Es ist nicht so, dass ich eine Message rüberbringen will. Das Wichtigste ist schon passiert: Dank des Buchs bin ich ein anderer Mensch geworden. Auch bei denjenigen Menschen, denen ich es zum Lesen gegeben habe, hat es etwas ausgelöst. Und das freut mich natürlich.

Wie haben die Protagonisten, die im Buch vorkommen, reagiert?

Ich hatte Angst vor deren Reaktion. Ich wollte auf keinen Fall das Leben von mir nahestehenden Leuten in der Öffentlichkeit zerrupfen. Deshalb habe ich die Geschichten mit meiner Mutter, meinem Bühnenpartner Manu Burkart und meinem Mann mehrmals gegenlesen lassen. Natürlich mussten sie ihr Einverständnis geben, dass es an die Öffentlichkeit gelangt. Wenn ich verurteilt werde, ist das schlimm. Wenn jemand, der im Buch vorkommt, verurteilt wird, würde mir das sehr leid tun.

Welche Reaktionen haben Sie allgemein auf das Buch erhalten?

Ich habe es im Vorfeld zehn Leuten zum Lesen gegeben. Die Reaktionen sind unterschiedlich ausgefallen. Einige fühlten sich vor den Kopf gestossen, weil sie dachten, ich sei ein aufgestellter Mann, dem alles in den Schoss fällt. Und viele fanden Parallelen zum eigenen Leben – sei es die Beziehung zum Vater, dass man es dem Partner und allen anderen recht machen will, dass man nicht glücklich ist im Job, dass man auf der Suche ist oder das Outing. Das Buch löst bei allen etwas anderes aus, was ich nie erwartet hätte.

Sie waren so tief unten, dass Sie sich 2012 von selbst in eine Klinik einweisen liessen.

Kann man das als Wendepunkt in Ihrem Leben bezeichnen? Es gibt verschiedene Wendepunkte: der Austritt aus der Freikirche, das Lehrerseminar in Zug, mein Outing, die Auszeit im Kloster nach einem Streit mit meinem Mann oder der Streit mit Manu, der 2017 fast zum Aus von Divertimento geführt hatte. Einer der grössten ist aber sicherlich derjenige, als ich 2012 in die Klinik nach Bad Birnbach ging, weil ich mir eingestanden hatte, dass ich Hilfe brauche. Und das Buch ist ein weiterer.

Das ganze Interview erschien im March Anzeiger und Höfner Volksblatt vom 20. September 2021. Abonnentinnen und Abonnenten können es im E-Paper-Archiv der beiden Zeitungen nachlesen.

Jonny Fischer und Divertimento

Jonny Fischer, geboren 1979 in Läufelfingen BL, trat nach seiner Ausbildung am katholischen Lehrerseminar Sankt Michael in Zug eine Stelle als Sport- und Biologielehrer an der Rudolf-Steiner-Schule in Baar an. In jener Zeit nahm das Comedy-Projekt mit Manu Burkart Fahrt auf, sodass er 2005 den Lehrerjob an den Nagel hängte und sein Hobby zum Beruf machte. Mit Erfolg: Seit 2007 spielen Divertimento vor ausverkauften Rängen, gewannen fünfmal einen Prix Walo und füllten 2015 zweimal hintereinander das Zürcher Hallenstadion. Neben der Bühne tritt Jonny Fischer auch als Juror in Casting-Shows oder als Moderator im Schweizer Fernsehen auf. Zudem stieg er 2019 in die Geschäftsleitung des Gesundheitsunternehmens Zenmove ein. Jonny Fischer hat viel erreicht. Doch der Erfolg machte ihn lange nicht glücklich. Im Gegenteil, er verstärkte das Gefühl der Einsamkeit. Je heller das Rampenlicht im Verlauf seiner Karriere leuchtete, desto dunkler lauerte am Bühnenrand der Abgrund. Denn aller Applaus konnte nicht die Überzeugung auslöschen, die in Kindertagen zementiert worden war: Er konnte sich anstrengen, so sehr er wollte, er genügte nie. Und dadurch viel zu lange auch sich selbst nicht. Heute ist Jonny Fischer glücklich verheiratet und lebt in Zug. (pd)

«Ich bin auch Jonathan – Die Geschichte einer Versöhnung»

Als schwarzes Schaf der Familie bezeichnet Jonny Fischer den Jungen, der er einst gewesen ist. Auf den Namen Jonathan getauft, wuchs er in einem streng christlichen Elternhaus auf. Für bedingungslose Liebe war kein Platz. Als Jonathan zehn war, gründete sein Vater eine radikale Glaubensgemeinschaft und teilte die Welt noch mehr als zuvor in Gut und Böse ein. Obwohl Jonny Fischer als Teenager dem Sektenjungen Jonathan den Rücken kehrte, seinen Namen änderte und am Lehrerseminar in Zug ein neues Leben begann, konnte er sich der Prägung, die er in seiner Kindheit erfahren hatte, nie ganz entziehen. Erst recht nicht, als er sich einzugestehen begann, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. So sehr er sich auch bemühte, er fand nicht, wonach er suchte. Jonny Fischer verausgabte sich bis zur Erschöpfung. Verletzungen, Schlaflosigkeit, Alkohol in rauen Mengen und 2012 der Zusammenbruch, der in einer Klinik endete. Der Weg aus der Krise führte ihn in die dunkelsten Winkel seiner Vergangenheit und zur Erkenntnis, dass er Anerkennung und Liebe zuallererst bei sich selbst suchen musste. In diesem Buch schildert er die Versöhnung mit seiner Geschichte, die Versöhnung mit Jonathan. (pd)

Das Buch wurde von der «Schweizer Familie»Journalistin Angela Lembo-Achtnich geschrieben und ist im Wörterseh-Verlag in Lachen erschienen. ISBN 978-3-03763-131-7; E-Book 978-3-03763-817-0

Irene Lustenberger, Redaktion March 24 und Höfe 24