Bei der Ankunft vor dem St. Anna Forum ist wenig überraschend erst einmal Warten angesagt. Jeder Spenderfreudige erhält die Unterlagen zum Ausfüllen und eine Nummer, damit sich niemand vordrängeln kann. Es werden Stifte und Decken organisiert, denn draussen ist es jetzt kalt geworden. Ich bin aufgeregt. Schon zweimal hatte ich in der Vergangenheit versucht, Blut zu spenden. Ohne Erfolg. Klappt es diesmal?
Relativ bald schon bin ich an der Reihe. Eine Altendörfler Samariterin begrüsst mich. Wir kennen uns – ihr Sohn ging mit mir in die Klasse – und tauschen uns etwas aus. Ich realisiere, dass die Blutspende-Welt eine kleine Welt ist. Die eifrigen Samariter kommen aus der ganzen Schweiz. Ich komme zur nächsten Station. Mein Blutdruck wird gemessen: 147 zu 93. Ganz gut. Franz, mein Arbeitskollege, darf nicht rein, sein Blutdruck ist zu hoch. Noch ein Pieks in den Finger. Tat gar nicht weh. Weil zwei Werte vergessen wurden, muss ich nochmals kurz den Finger hinhalten. Zum Glück tritt genug Blut raus, dass sie nicht noch einmal einen Pieks machen muss. Ich habe es geschafft. Endlich!
Danach kommt die Befragung. Madame T. informiert mich mit einem französisch Akzent darüber, wie der Ablauf ist und stellt mir Fragen zu meinem Wohlbefinden und meiner Gesundheit. Sie reicht mir ein Infoblatt betreffend der Zeit nach der Spende. Ich will sie fragen, woher sie kommt, unterlass es dann aber. Ich vermute aus der Westschweiz. Oder doch Frankreich? Ich unterschreibe ein Dokument, dass mein Blut für Forschungszwecke verwendet werden darf.
Ich werde aufgefordert, nochmals etwas zu trinken, weil es heute noch nicht genug war. Dann darf ich endlich spenden. Eine sehr nette deutsche Dame fragt mich, ob ich «den linken oder den rechten Arm nehme». Ich denke, sie fragt mich, welchen ich hinhalten will, dabei meinte sie, bei welchem sie die Vene besser findet. Ich habe keine Ahnung. Es ist tatsächlich der linke Arm. Gottseidank!
Sie erklärt mir, dass sie nicht viel mit mir sprechen darf wegen der Coronavirus-Sache. Einen Mundschutz trägt sie nicht. Ich sage ihr, dass ich das verstehe. Doch ich merke, sie möchte gerne mit mir sprechen. Sie desinfiziert meinen Arm. Ich solle eine Faust machen, damit sie die Vene besser sieht. Ich bin folgsam. Sie fragt mich, ob ich zum ersten Mal spende. Ich bejahe und erzähle ihr von meinen ersten beiden Misserfolgen. Sie warnt mich, dass es gleich kurz schmerzen wird, wenn sie die Nadel einführt.
Es tut wirklich weh, aber es ist schnell vorbei. Bewunderungen für meinen Blutfluss. «Wenn das so weiter geht, wird das eine kurze Sache!», schwärmt sie. Sie wolle auch bald mal wieder Blut spenden. Sie habe drei Kinder und lange Stillen müssen und deshalb nicht spenden können, oder keine Zeit gehabt. Jetzt sei das jüngste Kind fünf Jahre alt. «Jetzt hätte ich wieder Zeit dafür.» Sie lobt Schindellegi. So schön sei es hier. Ich sage ihr, dass ich aus Richterswil komme. Sie in Andelfingen, sagt sie mir.
Sie gibt mir einen Ball und fordert mich auf, ihn immer mal wieder zu drücken. «Aber nicht zu schnell, sonst bekommen Sie noch Kopfschmerzen!» Ich bin folgsam. Das Blut fliesst wie verrückt. Ruckzuck geht’s und das Gerät neben mir biept laut mehrmals vor sich hin. Wieder werde ich für meinen schnellen Blutfluss gelobt. Von einer anderen Samariterin mit etwas mehr Erfahrung. Sie befreit mich von der Nadel. Ich glaube, das waren nicht mal 10 Minuten. Sie instruiert mich über die nächsten Schritte, drückt mir ein kleines Tuch auf die Einstichstelle und sagt mir, ich soll auf die Wunde drücken und den Arm etwa drei Minuten lang senkrecht hoch halten. Ich bin folgsam.
Danach nehme ich mir Zeit. Irgendwie erwarte ich, dass ich nächstens Sterne sehe oder mir schwindlig wird. Aber es geht mir gut. Trotzdem bleibe ich noch etwas liegen, ich geniesse auch die lockere und familiäre Atmosphäre im Raum. Ich schaue zu den anderen rüber, die teilweise ebenfalls dabei sind, sich zu sammeln. «Cola oder Eistee?» Die nette deutsche Samariterin fragt mich, was ich trinken will. Ich setze mich auf und trinke entspannt meine Cola. Ich fühle mich richtig umsorgt. Mehrmals wird mir für meine Blutspende gedankt.
Ich lasse die Beine baumeln und kreise mit den Füssen, um meinem Kreislauf zu signalisieren, dass er jetzt arbeiten muss. So wie man es mir gesagt hat. Die Cola schmeckt gut. Sonst trinke ich das Zeugs eigentlich nie. Wieder ertappe ich mich dabei, dass ich auf die Schwindelgefühle warte, doch sie treten nicht ein. Ich bin überrascht. Ich bin jemand, der schon Sternchen sieht, wenn ich mich nur schon bücke. Aber nein, es geht mir gut! Es geht mir gut.
Glücklich, endlich etwas Gutes für die Menschheit getan zu haben, gehe ich in den Esssaal und schnappe mir ein Schinken-Sandwich. An jedem Tisch hat es nur einen Stuhl. Alles gemäss BAG-Vorgaben. Ich nehme mir noch ein Shorley und setze mich an einen der Tische. Immer noch warte ich auf irgendetwas, ein Zeichen meines Körpers, dass er etwas beraubt worden ist. Nein. Alles gut. Nur kalt habe ich. Sehr kalt.