Kuriosum Bündner Autoverbot
Seinen ersten Auftritt in der Schweiz hatte das Automobil an der Landesausstellung von 1896 in Genf – also mit einem Jahrzehnt Verzögerung zum übrigen Europa. Doch während überall auf der Welt das Auto seinen Siegeszug kontinuierlich beschleunigte, wurden im Bündnerland, also ausgerechnet in einer Hochburg der Belle-Epoque-Hotellerie, im 20. Jahrhundert die Weichen anders gestellt. Der Eisenbahn zeigte man dort die grüne Kelle, dem Auto dagegen die rote Karte; es wurde zur «machina non grata» erklärt.
Das mochte auch damit zusammenhängen, dass die Bündner durch ihre Stimmabgabe am Entscheidungsprozess direkt teilhaben konnten. So hat sich denn, ganz im Gegensatz zur Bahnpolitik, die Bündner Automobilpolitik nicht nur zu einem paneuropäischen Sonderfall, sondern nachgerade zu einem anachronistischen Kuriosum der Automobilgeschichte schlechthin entwickelt.
Hauptinitiant – das Engadin
Es resultierte eine erstaunliche, rückblickend kaum mehr zu verstehende Situation: Ausgerechnet in jenem Kanton, den ein Schulbub im Aufsatz charakterisierte mit «Die Bündner ernähren sich von Touristen», gab es keine Automobile, weil Autofahren im ganzen Bündnerland aufgrund eines Beschlusses des Kleinen Rates seit 1900 schlichtweg verboten war.
Dabei lieferte das Engadin scheinbar den Tropfen, der das Fass überlaufen liess; denn in der Botschaft an den Grossen Rat wird das kleinrätliche Verbot wie folgt begründet: «Seine Entstehung verdankt das Verbot von 1900 wirklicher Gefährdung und arger Belästigung des Strassenverkehrs im Engadin durch fremde Automobilbesitzer.»
Ganze zehn Abstimmungen
Die einen freute diese «friedliche Oase», während sich die anderen über solch «mittelalterliche Grenzsperrung » ärgerten. So gab es denn immer wieder groteske Bilder: Zum Beispiel durfte ein Graf aus Carrara, Besitzer der Marmorbrüche, mit seiner Nobelkarosse nur bis Castasegna fahren. Ab hier zogen die Pferde das Auto herauf.
Auch Karl August Lingner, der Odolkönig und Retter von Schloss Tarasp, musste, um mit seinem Auto im Schlosspark spazierenfahren zu können, dieses per Pferdezug von der Landesgrenze heraufbefördern. Ein volles Vierteljahrhundert sollte es dauern, bis sich dies – nach sage und schreibe zehn Volksabstimmungen – erst 1925 änderte.
Die Ära der Raupenautos
Nach dem Fall des Bündner Autoverbots war es nun am Automobil selber, Graubünden zu erobern. Doch die Bündner Passstrassen, als naturgegebene Nord-Süd-Verbindung über die Alpenbarriere, stellten an die Benzinkarossen, zumal in schneereichen Wintern, ganz spezielle Anforderungen.
Das veranlasste findige Automobilkonstrukteure, diesem Handicap durch einen so einfachen wie genialen Trick zu begegnen. Sie verpassten den Automobilen Gleit- und Raupenhilfen. Dies führte zur spassigen Situation, dass die Autos, als sie im Bündnerland endlich zugelassen waren, gleich skifahren lernten …