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08.11.2020
06.05.2022 15:34 Uhr

Unser täglich Brot

Eine komplett eingerichtete, alte Bäckerei-Konditorei mit Holzofen und transmissionsbetriebenem Maschinenpark.
Eine komplett eingerichtete, alte Bäckerei-Konditorei mit Holzofen und transmissionsbetriebenem Maschinenpark. Bild: zvg
Nostalgisch inszenierte Kunst am Teig: Das grösste Bäckerei / Konditorei / Confiserie-Museum der Schweiz liegt in Benken, einen Katzensprung vom Linthkanal entfernt.

Dieses Kleinod unter den Themenmuseen ist so etwas wie Seele und Heimat einer der ältesten Berufsgattungen. Die Vorgeschichte dieser historischen Dokumentation des täglichen Brotes ist speziell, eine Hefe-im-Teig-Story sozusagen, wobei die Hefe hier Liebe zum Beruf, wenn nicht gar Leidenschaft für den Berufsstand heisst. Da hat einer seinen Traum wahr und seinen Berufsstolz sichtbar gemacht – nostalgischmuseal. Gegründet wurde das Bäckereimuseum 2005, erweitert im Winter 2018/19.

Brot statt Käse

Als einziges von acht Kindern, die in der Benkner Käserei aufwuchsen, mochte klein Paul Wick den Käse nicht. Zudem überzeugte ihn sein Götti, der Dorfbeck von Benken, von der Wichtigkeit des Brotes als Grundnahrungsmittel. Also begann Paul 1960 in Richterswil die Lehre als Bäcker-Konditor. Anschliessend holte er sich während zehn Wanderjahren Erfahrung in verschiedensten Aushilfestellen im In- und Ausland, wobei er alle Sparten von Bäcker über Konditor und Confiseur bis zu Chocolatier kennenlernte. Damals wurde auch noch strenger unterschieden; die Konditoren waren die «Oberschicht» im Backstuben-Berufsstand.

1971 galt es ernst: Paul Wick übernahm in Rapperswil eine Bäckerei-Konditorei im Einmannbetrieb, unterstützt von seiner Frau Marianne. Damals gab es – kaum zu glauben – in Rapperswil und Jona noch ganze 16 Bäckereien und dazu drei Konditoreien. Heute, im fusionierten Rapperswil-Jona mit viel mehr Einwohnern, sind es nur noch drei Betriebe, wobei die reinen Bäckereien ganz verschwunden sind.

Grosses Bäckereisterben

Sein erster und bester Mitarbeiter damals – die alte Zeit vielseitigerhandwerklicher Begabung lässt grüssen – war Schuhmacher August Gübeli, Dorforiginal aus Jona. «Tagsüber», erinnert sich Paul Wick, «hat er ‹gschuhmächerlet›, nachts wog er bei mir den Teig ab.» Die spassige Begrüssung bei Arbeitsantritt am Abend habe deshalb gelautet: «Wir machen zuerst Schwarzbrot, und dann, sobald deine Hände sauber sind, Weissbrot.»

Der Vorläufer der Wick’schen Bäckerei hatte sich früher in einer alten Liegenschaft nebenan befunden. Als diese baufällig wurde, suchte Paul Wick nach dem alten Holzbackofen – und fand ihn hinter einer Verputzwand. 1976 restaurierte er ihn liebevoll, womit ein alter Traum wahr wurde: Der erste Schritt in Richtung Bäckereimuseum war getan. Jetzt begann die Jagd auf weitere alte Bäckereiutensilien und -maschinen. Als passioniertem Grünrock lag ihm das erfolgreiche Ansprechen im Blut, und den Sammeltrieb hatte er schon seit der Lehre verspürt.

Zudem war die Zeit seinem Unterfangen hold: Denn damals begann in der Schweiz das grosse Bäckereisterben, ein analoger Vorgang wie bei den Käsereien. Viele der zahlreichen Betriebe, die zu klein waren zum Überleben, gingen ein, so dass ständig alte Gegenstände anfielen, für die sich niemand mehr interessierte.

1992 eröffnete Paul Wick in Rapperswil ein kleines, handgestricktes Bäckereimuseum mit Besichtigung auf Voranmeldung. Weil die Nachfrage gross war und auch noch Sammelstücke vom Schweizerischen Archiv für Brot- und Gebäckkunde dazu kamen, drängte sich eine neue Lösung auf.

  • Bild: Heini Hofmann
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  • Paul Wick führt durch das Museum. Bild: zvg
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Ein Traum wird wahr

Um sich ganz auf den Sammlertraum – ein richtiges, öffentliches Bäckereimuseum samt Themenrestaurant – konzentrieren zu können, übergaben Paul und Marianne Wick ihr Geschäft in Rapperswil den Jungen und zogen nach Benken. Hier, in der ehemaligen elterlichen Käserei, liess sich der Traum verwirklichen – in Eigeninitiative und ohne Subventionen.

Das Museum samt einem mit Bäckerutensilien drapierten Partyraum (80 Plätze) befindet sich im einstigen Schweinestall, während das Restaurant Brezelstube mit Ofenstübli (gut 50 Plätze), Bäckerstübli (40 Plätze) und Mürtschenstübli (20 Plätze) in der ehemaligen Käserei platziert ist, ergänzt mit lauschiger Gartenwirtschaft und Kinderspielplatz mit Blick auf die Hausberge Speer und Mürtschen.

Antiquitäten und Raritäten

Auf über 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche finden sich Bäckereiutensilien aus vier Jahrhunderten (1550 bis 1950). Als imposante Brocken präsentieren sich eine komplette Bäckerei- Konditorei mit transmissionsbetriebenem Maschinenpark, der in Aktion versetzt werden kann, sowie vier historische Ofenfronten, eine davon über hundert Jahre alt. Enorm ist auch das Sammelsurium an bunten Gefässen (nostalgisch bemalte Bisquitdosen und Zeltchenbüchsen), und geradezu überwältigend sind die Tausende von Bäckerei-, Konditorei- und Schokoladeformen.

(...)

In Benken leben jene Zeiten auf, als es noch Zwanziger- und Zehnerstückli, ja sogar Fünfer- und Einerstückli gab. Zudem finden sich in einer Bibliothek voller alter Schmöker der Berufskunde originelle Rezept-Trouvaillen und ganze Sammlungen Lebkuchenherz-Sprüche, von «Mädchen, mach dir Locken, sonst bleibst du hocken» über «Ich bleibe dir treu – bis zum Bahnhof » bis zu «Schönste, liebe deinen Diener, sonst wird er Kapuziner». Und es liegt auf der Hand: Hätte Paul Wick damals nicht seine Marianne angelacht, sondern dem Pfefferkuchen-Spruch «Mensch, sei helle, bleibe Junggeselle!» gehuldigt, stünde heute in Benken wohl kein Bäckerhaus …

Webseite St. Gallisch-Schweizerisches Konditorei-, Confiserie- und Bäckereimuseum

Heini Hofmann
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