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Sport
29.05.2022

Das Gespür haben, wem man welche Information weitergeben kann

Manchmal kann Björn Bruhins Job als wissenschaftlicher Koordinator auch einsam sein. Zwar bestehen Kontakte zu Personen mit gleichen Aufgaben in anderen Verbänden, mit Informationen geht man aber vorsichtig um.
Manchmal kann Björn Bruhins Job als wissenschaftlicher Koordinator auch einsam sein. Zwar bestehen Kontakte zu Personen mit gleichen Aufgaben in anderen Verbänden, mit Informationen geht man aber vorsichtig um. Bild: zvg
Björn Bruhin muss als wissenschaftlicher Koordinator bei Swiss Ski immer abschätzen, mit welchen Informationen er an die Öffentlichkeit tritt. Schliesslich soll sich die Konkurrenz kein exaktes Bild darüber machen können, welche Projekte in welcher Tiefe am Laufen sind (Teil 2).

An Olympia in Peking stellte das Team um ForschungskoordinatorBjörn Bruhin für Swiss Ski nicht nur Taktikanalysen, sondern auch Schnee- und Wetteranalysen zur Verfügung. «Wir werden wohl auch künftig noch mehr in unser Portfolio nehmen und dies direkt für die Teams bereitstellen», stellt er in Aussicht. Schneetemperatur und Korngrösse etwa hätten einen grossen Einfluss auf Setup und Materialwahl. «Von Dritten wird das als Service nicht automatisch umfassend angeboten.» Oft gelte es auch, bereits generierte Daten mit eigenen Daten zu verbinden. Eines sei sicher: Man werde künftig immer mehr Daten zur Verfügung haben. Die eigentliche Aufgabe sei es dann, das richtige herauszulesen und zu analysieren.

Die Informationen richtig streuen

Nicht zuletzt könnten dann auch Skihersteller und Serviceleute mit Daten beliefert werden. Heute sei es so, dass die Athleten vor allem von Poolserviceleuten von Swiss Ski betreut würden, es bestünden aber auch Schnittstellen zu den Herstellern mit ihrem Firmenservice. «Es ist deshalb noch schwierig, die Informationen richtig zu streuen.» Der Servicemann von Head präpariere neben dem Ski von Beat Feuz auch jenen von Vincent Kriechmayr. «Wir möchten natürlich nicht, dass er die gleichen Informationen erhält. Man muss das Gespür ha-ben, wem man was weitergeben kann.» Eigentlich gebe man nie alles heraus. Erstens, um die Serviceleute damit nicht zu erschlagen, aber auch damit man sicher sei, dass nicht etwas gleich zur Konkurrenz geht.

Sich dennoch nicht in die Karten blicken lassen

Selbstredend gibt es auch die Personen in anderen Verbänden, die ähnliche Aufgaben haben wie Bruhin. Wie sieht es da mit dem Kontakt aus? «Man redet quasi nicht über das Geschäft», antwortet Bruhin. Eine Ausnahme gebe es aber. Der Schweizer Matthias Gilgien arbeite für den norwegischen Skiverband. Ihn kenne er schon lange, ein paar Forschungsprojekte habe man deshalb dennoch gemeinsam gemacht. Denn in Forschungsprojekten seien die Anzahl Messungen und die Anzahl Athleten oft zu klein. «Beide wissen dann, dass man auch hier nicht über alle Details reden darf.» Aber sonst sei es schon spannend, sich ein Stück weit auszutauschen.

In welcher Weise man beispielsweise den Trainern die Erkenntnisse weitergeben soll, sei eher Allgemeingut. «So etwas ist jetzt nicht wahnsinnig geheim. Es geht einfach darum, nicht gerade alle Geheimnisse weiterzugeben. » Man müsse aber auch hier etwas relativieren. Nur weil bei den Schweizern etwas funktioniert, müsse dies bei anderen Verbänden nicht auch der Fall sein. Im Wachsbereich sei die Übertragbarkeit zum Beispiel eher gegeben, bei taktischen Analysen sei es aber anders. «So etwas kann mannicht einfach 1:1 übernehmen.» Auch wenn sich die Verbände nicht so in die Karten blicken liessen, an-hand der wissenschaftlichen Publikationen sehe man schon in etwa, woran die anderen sind. «Man kann dann abschätzen, in welche Richtung da etwas läuft, kennt aber die Tiefe nicht. Meist wird viel mehr gemacht, als bekannt wird.»

Näher bei der Praxis als andere

Besonders gut sind laut Bruhins Einschätzung die Norweger. «Die sind wissenschaftlich wirklich sehr gut aufgestellt. In den nordischen Disziplinen machen sie natürlich am meisten, sind aber auch im Ski Alpin stark.» In Österreich gebe es an der Uni Salzburg eineGruppe, die engagiert sei, in Frankreich eine in Grenoble und die Schweden hätten in Östersund ein gutes Zentrum. Sie seien aber mehr auf Langlauf getrimmt. «Ein Vorteil von uns ist, dass wir nahe beim Sport sind. Wir stehen zwischen der Wissenschaft und der Praxis.» Bei den anderen liege die Finanzierung manchmal stark auf der Wissenschaftsseite. Auch in Deutschland, an der TU München, werde vor allem die Wissenschaft mitfinanziert. «Wir sind in der Schweiz also nicht schlecht aufgestellt. Ich und meine Mitarbeiterin, die auch Sportwissenschaftlerin ist, können relativ viel umsetzen. Noch kein Projekt ist nur an den Finanzen gescheitert.» Für die Skicrosser entwickelten die beiden etwa den jährlichen Leistungstest weiter, weil in dieser Disziplin der normale Test aus dem Ski Alpin nicht gleich viel bringe. «Sie wünschten sich einen wirklich sportartspezifischen Leistungstest. Denn beim Start geht es vor allem um Explosivkraft in Armen und Rumpf.» Tendenziell helfe ein guter Start in dieser Sportart schon extrem. Die Frage habe also gelautet, wie schnell die Athleten hier Kraft entwickeln und wie man Verbesserungen erreichen kann.

Geheimnis um Stoffbeschaffenheit

Die Ski-Alpin-Athleten wiederum seien zweimal im Jahr im Windkanal, einmal in Emmen bei der Ruag, einmal bei Audi in Ingolstadt. «Dort mache ich die ganze Datenauswertung und Resultataufbereitung.» Es gehe unter anderem darum, welche Anzüge für welchen Athleten wie gut sind. «Sie unterscheiden sich etwa bezüglich des Stoffes», verrät Bruhin. Bei diesem Thema dürfe er mit Information nach aussen nicht weiter in die Tiefe gehen. «In diesem Bereich kann man viel herausholen, haben wir das Gefühl.» Und wovon hängt denn eine gute, windschnittige Hockeposition ab? «Vor allem auch von der Anthropometrie», erklärt Bruhin. «Also, wie lange Unter-, Oberschenkel und Oberkörper sind. Das sind einige der wichtigsten Faktoren. Wenn jemand kurze Unterschenkel hat, ist er auch bei einer weniger tiefen Position gleich aerodynamisch wie jemand mit langen Unterschenkeln. » Es gehe für jeden darum, entsprechendder Proportionen eine möglichst optimale Position zu finden. Denn man müsse diese Position auch während längerer Zeit fahren können. Wenn man nicht mehr richtig nach vorne sehe, fahre man zum Beispiel ins Tor hinein. Es gelte, eine Mischung zwischen einer möglichst guten Position und einer Position, die auch noch fahrbar ist, zu finden. Dies sei eine Herausforderung für die Trainer und Athleten. Wer grösser ist, bringe mehr Masse mit und habe daher hier wieder Vorteile. «Grundsätzlich gibt es nicht einen Typ, der bevorzugt oder benachteiligt wäre.»

In gewissen Bereichen sind die Serviceleute gefordert

Angesprochen auf die Einsiedler Biathletin Amy Baserga, die gross gewachsen und schwerer als andere Biathletinnen ist, sagt Bruhin, dass man auch hier Nachteilen bei weicheren Loipenverhältnissen teilweise entgegentreten könne. Je nach Sportart gebe es mehr oder weniger, das man anpassen könne. So gebe es im Biathlon und Langlauf unterschiedliche Ski mit anderen Spannungsbögen. «Man muss hier schauen, wie stark ein Athlet abdrücken kann und einen Ski nehmen, der die Kraft mehr oder weniger verteilt, um weniger einzusinken oder mehr Grip zu haben.» Auch im Slalom und Riesenslalom sei die Abstimmung des Materials auf die verschiedenen Bedingungen besonders wichtig. In diesem Bereich seien aber vor allem die Serviceleute gefordert. Das eine Eis sei griffiger, das andere stumpfer. Manchmal könne es diffizil sein, die richtige Abstimmung zu finden. Nicht zuletzt geht es dabei immer auch um die Unfallverhütung. Keiner weiss das besser als Bruhin selbst. Früher war der Schübelbachner selbst als Skirennfahrer unterwegs. «Vier Jahre lang habe ich es probiert, zwei davon war ich verletzt. Erst ging das eine Knie kaputt, dann kam das andere.»

Daniel Koch, Redaktion March24 und Höfe24