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Kanton
23.09.2021

Eine Schwerreiche als «Weihnachtsgans»

Das Strafgericht Schwyz
Das Strafgericht Schwyz Bild: Keystone
Ein Paar wurde vor Strafgericht bezichtigt, eine sehr vermögende Frau ausgenommen zu haben.

Der Prozess vor dem Schwyzer Strafgericht war umfangreich. Er dauerte zwei Tage. Angeklagt waren eine heute 56-jährige Frau sowie ihr ehemaliger Partner (45). Beide sind Schweizer und wohnen in der March.

In Angestelltenverhältnis

Die Beschuldigte war jahrelang Gesellschafterin, Betreuerin, Chauffeuse und Privatsekretärin einer im Bezirk Höfe wohnhaften betagten geschiedenen Frau eines ehemaligen prominenten Schweizer Wirtschaftsführers. Die betreute Dame verfügte über ein Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe.

Auf Kosten der Dame eingekauft

Der Angeklagten warf der Staatsanwalt gewerbsmässigen Betrug, Veruntreu ung, betrügerischen Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage, ungetreue Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung sowie weitere Delikte vor. «Sie hat die schwerreiche Frau ausgenommen wie eine Weihnachtsgans», sagte der Staatsanwalt. Allein innerhalb von sieben Jahren habe sie auf Kosten der Dame teure Kleider für sich und ihren Partner, exklusive Taschen und Schuhe, aber auch Bargeld, Haushalts- und Unterhaltungsgeräte, Parfums sowie Gutscheine und Möbel im Wert von mindestens 610 000 Franken gekauft. Und das bei einem Monatslohn von rund 20 000 Franken. Bei einer Hausdurchsuchung seien bei ihr rund 450 Kleidungsstücke, Schuhe, Gürtel und anderes mehr beschlagnahmt worden. Um ihre Taten zu ermöglichen, habe die Beschuldigte ein Terrorregime geführt. Sie habe die Betagte, die zuletzt im Rollstuhl war, von ihrer Familie und der Umwelt abgeschottet. Mit gestohlenen oder überlassenen Kreditkarten der Dame habe sie die Einkäufe gemacht, Bargeld bezogen oder über das E-Banking ihrer Chefin die Waren bezahlt. Sie habe Belege für die Buchhaltung mit dem Kürzel der Dame gefälscht, ebenso ihre Arbeitsrapporte. Davon habe auch ihr damaliger Partner profitiert, der auf Kosten der vermögenden Dame Möbel, Autoreifen, Kleider und anderes im Wert von ebenfalls rund 100 000 Franken erhielt.

Staatsanwalt forderte teilbedingte Freiheitsstrafe

Für die Beschuldigte verlangte der Staatsanwalt eine teilbedingte dreijährige Freiheitsstrafe, wobei zwölf Monate zu vollziehen seien. Für unbestrittene Übertretungen forderte er eine Busse von 300 Franken. Für den Partner verlangte der Ankläger eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten sowie für eine unbestrittene SVG-Verletzung eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 90 Franken. Die mit einer Grundstücksperre belegte gemeinsame Wohnung der beiden sollte für die Deckung der Schadenersatzforderungen und der Verfahrenskosten verwendet werden.

Herrische, aber grosszügige Chefin

Die Verteidiger beschrieben eine vollkommen andere Geschichte. Die schwerreiche Frau sei herrisch, aber sehr grosszügig gewesen. Sie habe ihren Angestellten, besonders der Beschuldigten, immer wieder Geschenke und teure Markenkleider gekauft, weil sie sie in diesen Kleidern sehen wollte. Sie habe einen derart aufwändigen Lebensstil gepflegt, dass sie eine Zeit lang sogar einen Beistand erhalten habe. Ihre Finanzen habe die Dame sehr akribisch überwacht und kontrolliert, sodass solche Taten, wie der Beschuldigten vorgeworfen werden, gar nicht möglich gewesen wären. Die Strafanzeige gegen ihre Gesellschafterin habe die Frau, die vor einem Jahr 89-jährig verstorben ist, auf Druck ihrer Kinder und aus Angst, in ein Altersheim gesteckt zu werden, eingereicht.

Beweislage reichte nicht

Das Strafgericht glaubte den Schilderungen der Verteidiger und sprach beide Beschuldigte in den Hauptanklagepunkten frei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die beschlagnahmten Gegenstände den Beschuldigten von der wohlhabenden wie grosszügigen Chefin geschenkt wurden. Es komme hinzu, dass der Angeklagten nicht rechtsgenüglich angelastet werden könne, sie habe das Kürzel der Dame auf den Belegen gefälscht. Dass sie den E-Banking-Account ihrer Chefin gegen deren Willen verwendete, habe ebenfalls nicht nachgewiesen werden können, zumal die Einkäufe nachträglich von der alten Dame gebilligt worden seien.

Bedingte Geldstrafen und Bussen

Beide Beschuldigten erhielten wegen der unbestrittenen Anklagepunkte bedingte Geldstrafen sowie Bussen. Die Verfahrenskosten von 175 000 wurden der Frau zu zehn Prozent auferlegt. Sie erhält eine Genugtuung von 3400 Franken. Der Mann hat die Verfahrenskosten von 70 000 Fr. zu zehn Prozent zu tragen. Auch ihm wird eine Entschädigung von 2900 Fr. ausgerichtet. Die Grundstücksperre wird aufgehoben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Ruggero Vercellone, freier Mitarbeiter