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Feusisberg
31.05.2021
02.06.2021 09:58 Uhr

Biografien als Denkmäler für ihre Grosstanten

Christa Prameshuber fühlt sich sehr wohl am Zürichsee. «Die Schweiz ist für mich das Zentrum von Europa.»
Christa Prameshuber fühlt sich sehr wohl am Zürichsee. «Die Schweiz ist für mich das Zentrum von Europa.» Bild: hp
Die Österreicherin Christa Prameshuber lebt in Schindellegi und hat bereits zwei Biografien veröffentlicht. Das Schreiben und Recherchieren über ihre «Wegbereiterinnen» erlebt sie als ein erfüllendes und fesselndes Kapitel in ihrem Leben.

Was hat Sie von Linz nach Schindellegi geführt?

Das war kein direkter Weg. 1987 habe ich in Rom einen Italienischkurs besucht und mich dort in einen Schweizer verliebt. 1990 zog ich zu ihm nach Genf und 1993 haben wir geheiratet. Wir lebten in Paris und in der Schweiz. 2015 fuhren wir mit dem Auto durch diese Gegend und waren von Schindellegi begeistert.

Sie bezeichnen sich als Europäerin mit festen österreichischen Wurzeln. Was mögen Sie an der Schweiz?

Die Schweiz ist für mich das Zentrum von Europa, ich fühle mich hier sehr wohl. Viele mögen meinen österreichischen Dialekt, das kommt mir entgegen. 

Haben Sie Kontakte zur Höfner Bevölkerung? 

Unsere Nachbarn sind gute Freunde von uns, sie kommen von hier. Durch sie haben wir einen guten Zugang. Zudem besuche ich zwei Literaturkurse in Pfäffikon, das ist eine spannende Möglichkeit, Menschen kennenzulernen und gemeinsam etwas zu unternehmen. 

Christa Prameshuber hat bereits zwei Biografien veröffentlicht - eine dritte folgt. Video von Dave Honegger, Pfäffikon.

Christa Prameshuber

Geburtsdatum: 20. Juni 1961

Wohnort: Schindellegi

Zivilstand: verheiratet

Beruf: Autorin

Hobbys: Musik, Kunst, Reisen, Menschen kennenlernen

Wie sah Ihre Kindheit aus?

Ich wurde 1961 als jüngste von drei Schwestern in Linz geboren. Meine Mutter starb, als ich zehn Jahre alt war, und so kümmerten sich meine Grosseltern um mich. Mein Vater heiratete nochmals und zog zu seiner zweiten Frau. Als mütterlicher Ersatz sprangen drei wunderbare, sehr unterschiedliche Grosstanten ein. Die Künstlerin und Musikerin Tante Mia, die praktisch veranlagte und reiselustige Tante Toni und schliesslich die fürsorgliche und vorsichtige Tante Mali. Alle drei lebten allein und kinderlos in Linz und erzogen mich recht unkonventionell.

Wo haben Sie das Schreiben gelernt?

Vor 20 Jahren begann ich Schreib-ateliers zu besuchen. In Deutschland absolvierte ich zwei Kurse für das Schreiben von Biografien. Seit fünf Jahren bin ich auch im Schweizerischen Schriftstellerinnenverband und bei Femscript, einem Schriftstellerinnennetzwerk.  

Wann ist in Ihnen der Wunsch erwacht, über das Leben Ihrer Grosstanten zu schreiben?

2015 habe ich begonnen, für meine drei Nichten die Geschichten meiner drei Grosstanten aufzuschreiben. Daraus ist immer mehr geworden und ich entschied mich, eine Trilogie daraus zu komponieren. Es ist aber nicht nur beim Schreiben geblieben, sondern ich begann auch mit Nachforschungen in Archiven und in der Familiengeschichte. 

Wieso Biografien und keine Romane?

Ich habe Biografien schon als Kind «gefressen». Ich besitze in meiner Bibliothek über 600 Lebensgeschichten. 

Nach welchem Kriterium entschieden sie, welcher Grosstante der Anfang der Trilogie gebührt?

Tante Mia habe ich bereits als Kind am besten gekannt, weil sie im gleichen Haus wohnte wie ich. Daher begann ich mir ihrer Geschichte. Zu Tante Toni hatte ich ein besonders vertrautes Verhältnis. Tante Mali habe ich erst später so richtig kennengelernt, sie hat auch am längsten gelebt und ich führte mit ihr einen regen Schriftwechsel bis zu ihrem Tod 2005. Daher bildet sie den Schluss der Trilogie.

«Die Meisterin» erzählt die Geschichte der Linzer Sängerin Mia Beyerl. Wie beschreiben sie dieses Buch unseren Lesern in Kurzform?

Es ist die Geschichte einer unabhängigen und mutigen Frau, die es schaffte, ihren Traum zu verwirklichen. Sie wurde 1900 geboren und wusste schon früh, dass sie Opernsängerin werden wollte. Mit 19 Jahren zog sie nach Wien, um Gesang und Klavier zu studieren. 10 Jahre später sorgte eine Diphterieerkrankung für ein abruptes Ende ihrer Karriere. Doch natürlich gab sie sich nicht geschlagen.

Was faszinierte Sie besonders an Tante Mia?

Sie hat mir so viel über Musik beigebracht. Durch sie verstehe ich heute, warum «Die Moldau» von Smetana so klingt wie sie klingt. 

Das zweite Buch «Das mit der Liebe ist alles ein Schwindel» widmen Sie ihrer Grosstante Antonia Bukowsky. Wieso hielt Tante Toni nicht viel von der Liebe?

Tante Toni wurde drei Mal von der Liebe enttäuscht. Die erste Enttäuschung erlebte sie bereits als Kind. Die Eltern liessen sich scheiden, das war zu dieser Zeit aussergewöhnlich. Nach ihrem Tod haben wir 47 Liebesbriefe gefunden. Ihr Liebhaber ist heimlich nach Amerika ausgewandert und liess sie sitzen. Der dritte Verlust betraf ihren Neffen. Er wurde am vorletzten Kriegstag als 17-jähriger erschossen, sie konnte ihn nicht retten. 

Tante Toni sagte zu Ihnen: «Die Schweizer sind patente Leute». Was meinte sie damit?

Tante Toni hat die Schweiz geliebt. Sie war begeistert von den Schweizer Taschenmessern, weil diese so praktisch sind. «Die Schweizer verstehen viel von Technik, das sind patente Leute», pflegte sie zu sagen. Als ich 12 Jahre alt war, nahm sie mich auf eine Reise in die Schweiz mit. Wir besuchten u.a. das Verkehrshaus Luzern und fuhren auf den Gornergrat. Zwei Wochen vor ihrem Tod habe ich ihr mitgeteilt, dass ich einen Schweizer heiraten werde. «Sehr gut», hat sie da gesagt. Das Lustige war, dass mein Mann zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon wusste. Ich wollte ihr diese Freude noch machen. 

Was machte Ihnen bei Tante Toni am meisten Eindruck?

Ihr unglaublicher Mut: Sie wurde 1942 von der Gestapo wegen Heimtücke verhaftet. Sie nannte Hitler einen «Wedel», das ist ein oberösterreichisches Schimpfwort und bedeutet Staub-wedel. Und sie weigerte sich, den Hitlergruss auszuführen. 

Zur Zeit ist die dritte Biografie in Arbeit, bei der es um Tante Mali geht. Können Sie uns da bereits etwas verraten?

Es hat den Titel «Die grosse Schande» –Amalia Bergers Melancholie der Dankbarkeit. Tante Mali war ein uneheliches Kind, der Vater blieb nach dem Ersten Weltkrieg verschollen, die Mutter begann aus Verzweiflung Selbstmord, als Tante Mali vier Jahre alt war. Sie wurde Kinderschwester. Kurz vor ihrem Tod drückte sie mir ein Buch in die Hand. Die von ihr darin gekennzeichneten Stellen schilderten Gräueltaten der Mussolini-Schergen und der SS in Italien. Tante Mali war von 1937 bis 1939 in Rom und Livorno als Kindermädchen tätig gewesen. Ich kann mir vorstellen, dass sie damals vergewaltigt wurde. Das erklärt vielleicht auch, warum sie nie geheiratet hat, obwohl sie mindestens sechs Heirats-anträge erhalten hatte. 

Die Trilogie

Die Meisterin. Erinnerungen an die bemerkenswerte Künstlerin Mia Beyerl (2018). 

Das mit der Liebe ist alles ein Schwindel. Das bewegte Leben der Antonia Bukowsky – Würdigung einer mutigen Frau (2020). 

Die grosse Schande. Amalia Bergers Melancholie der Dankbarkeit (erscheint im April 2022).

Alle im Trauner Verlag, Linz. www.christaprameshuber.ch

Was waren für Sie die Grosstanten?

Alle drei waren Wegbereiterinnen und Mutmacherinnen. Heute würde man sie als Mentorinnen bezeichnen. Tante Toni sagte immer: «Man muss möglichst viele Fragen stellen. Im schlimmsten Fall bekommst du als Antwort ein Nein.» Und Tante Mia sagte: «Sei exzentrisch!»

Hat Sie persönlich die Arbeit an der Trilogie der Linzer Gross-tanten verändert?

Absolut. Meine Hochachtung gegenüber dieser Generation ist noch mehr gewachsen. Obwohl sie viel durchgemacht haben, gab es kein Jammern. Das Wort Burn-out kannte man nicht, alle mussten funktionieren. Das ist mir erst heute richtig bewusst geworden. 

Was bedeutet es, Schriftstellerin zu sein?

Schreiben macht glücklich! Es ist viel erfüllender und fesselnder als Fernsehen zu schauen. Ich kann es jedem nur empfehlen, man lernt dabei sehr viel über sich selbst. Ich schreibe jeweils abends ab 20 Uhr. In der Früh erledige ich den administrativen Teil, das sind Anfragen bei Archiven oder Recherchen bei noch lebenden Verwandten.

Wie würde der Titel Ihrer Biografie heissen?

«Was haben wir bei diesem Kind falsch gemacht?» Der kurvenreiche Weg der lebensfrohen Christa P. 

Haben Sie schon weitere Pläne? 

Ja. Ich möchte gerne eine Biografie über meinen Vater schreiben, der ein bekannter Schachspieler war. Für meine Vorbereitung habe ich mich beim Schachclub Pfäffikon gemeldet und einen Schachspieler gesucht, der mich mit der Welt des Königsspiels vertraut macht. Auch da habe ich gemäss Tante Tonis Lebensweisheit gehandelt und einfach mal angefragt. Sie haben aber nicht nein gesagt... 

Heidi Peruzzo, Redaktion March24 & Höfe 24