Die 33-jährige Andrea Dettling ist Cheftrainerin des regionalen Leistungszentrums (RLZ) Mattertal in Zermatt, was etwa so oft vorkommt wie bestätigte
Yeti-Sichtungen. Das regionale Leistungszentrum besteht aus 19 Skifahrerinnen und Skifahrern zwischen 12 und 15 Jahren, deren erklärtes Ziel lautet, einmal mit den besten Athleten der Welt mitfahren zu können, wie einst Andrea Dettling. Die Altendörflerin und Rebecca Graven managen das RLZ zusammen vollberuflich. «Ich glaube, in der Schweiz ist diese Konstellation aus zwei Frauen ziemlich einzigartig», so das ehemalige Mitglied der Ski Alpin-Nationalmannschaft, die sich früher gar nie eine Trainerkarriere vorstellen konnte.
Passende Aufgabe gefunden
Sie erinnert sich: «Als ich selber Athletin war, kam es mir gar nicht in den Sinn, Trainerin zu werden.» Nach ihrem Rücktritt 2015 brauchte sie erst einmal Abstand vom Skizirkus. Bei ihrem Club, dem SC Altendorf, und im RLZ Hoch-Ybrig sammelte sie dann doch erste Erfahrungen als Trainerin – vom U12- bis zum Fis-Bereich – und nahm auch einige internationale Arbeitsangebote wahr, wie zum Beispiel bei der britischen Armee. Dort wurde ihr klar, dass U16, der älteste Nachwuchs vor der internationalen Stufe, ihre Sparte ist.
Bei den U16-Athleten finden Trainings und Rennen dort statt, wo die Athleten auch wohnen. «Etwa 80 Prozent der Rennen sind im Wallis, hinzu kommen nationale U16-Wettkämpfe.» Dass es für sie das ganze Jahr über eine fixe Homebase gibt, gefällt der Altendörflerin. Seit letztem Frühling ist Andrea Dettling im RLZ Mattertal tätig und wohnt in Zermatt, wo es ihr gut gefällt. Natürlich ist sie auch oft in Ausserschwyz zu Gast, beispielsweise bei ihrer Familie in Altendorf.
Eine richtige Männerdomäne
Als RLZ-Leiterin ist Dettling in der Schweiz eine Exotin. «Wir hatten vor ein paar Wochen einen nationalen Vergleich auf U16-Stufe – ich war die einzige Trainerin in der Militärunterkunft, in der drei Viertel der Teams untergebracht waren.» Dass gleich zwei Frauen die komplette Betreuung eines gemischten JO-Teams übernehmen, sei noch seltener.
Mit ihrer jahrelangen Erfahrung kann sie bestätigen, dass der Trainerbereich eine Männerdomäne ist. Selber hatte sie in ihrer ganzen Karriere als Athletin nur einmal eine Frau als Trainerin, damals im Europacup. «Es hat wenig weibliche Vorbilder in diesem Bereich», sinniert die 33-Jährige. Je höher die Stufe, desto seltener gibt es Trainerinnen. Und zwar nicht nur bei den Schweizern, sondern bei allen Nationen. «Das wurde in den letzen Jahren immer stärker zum Thema», so Dettling.
Die körperlichen Argumente dagegen könne sie teilweise verstehen. «Es ist ein Knochenjob und sehr kräftezehrend.» Das kennt sie hautnah von ihrem Vater Willi Dettling, der Trainer des Schweizer Herren-Riesenslalom-Weltcupteams ist und Marco Odermatt, Loïc Meillard und Co. auf Touren bringt. Es gilt schwere Netze aufzustellen, Bündel mit Torstangen zu schleppen, Pisten mit dem Wasserschlauch zu präparieren und über mehrere Kilometer hinweg Lebensmittelfarbe aufzutragen: Ein Training läuft fast wie ein Wettkampf ab.
«Ich glaube trotzdem, dass Athleten und auch der Staff profitieren würden, wenn der Anteil beider Geschlechter ausgeglichener wäre», hält Andrea Dettling fest. Im ganzen Team sei die Physiotherapeutin oftmals die einzige weibliche Betreuungsperson. «Wenn die Beziehung gut funktioniert, ist der weibliche Bereich ungefähr abgedeckt.» Wo es noch viel Aufholbedarf gebe, sei sicher im Verständnis der Funktionsweise weiblicher Körper, beispielsweise betreffend Hormonhaushalt. «Viele Trainingsansätze sind immer noch sehr stark auf männliche Athleten ausgerichtet. Vielleicht könnte hier ein höherer Frauenanteil im Trainerberuf einen Perspektivenwechsel anstossen.»
Für sich selber sucht Andrea Dettling kein Engagement im Welt- oder Europacup. «Ich finde es allerdings super, wenn Leute wie meine ehemalige Teamkollegin Mirena Küng diesen Schritt machen. Und ich bin mir sicher: Es würde allen gut tun, wenn es auch auf den oberen Stufen mehr Frauen hätte.» Bei Andrea Dettling sei es nicht der Trainerjob selber, auf den sie keine Lust habe, sondern das ganze Drum und Dran des Weltcups, vor allem das Herumreisen. Sie zieht einen Job im Leistungszentrum vor, wo der Grossteil der Rennen im gleichen Kanton oder zumindest in der Schweiz stattfindet.