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Tuggen
28.04.2021

«Die Diagnose war Schock und Erlösung zu gleich»

Marlen, Till, Emilia, Julius und Roman Huber (v.l.)  geniessen die Familienzeit im Freien.
Marlen, Till, Emilia, Julius und Roman Huber (v.l.) geniessen die Familienzeit im Freien. Bild: Silvia Gisler
Der 6 1/2-jährige Till ist anders als Gleichaltrige. Er ist besonders. Für die Tuggner Familie ist er einfach Till. Till, der aufgrund einer Laune der Natur mit einem extrem seltenen Gendefekt zur Welt gekommen ist.

Mit der Geburt des ersten Kindes steht das Leben eines Paares ganz plötzlich Kopf. Beim zweiten Kind weiss man dann schon eher wie der Hase läuft. Dies dachten sich wohl auch Marlen und Roman Huber als sie sich gemeinsam mit Töchterchen Emilia auf das zweite Baby freuten. Am 8. Oktober 2014 kam Till dann zur Welt – schnell und ohne Komplikationen. Bis auf einen Hodenhochstand und eine Trinkschwäche an der Brust war eigentlich alles in Ordnung. Trotzdem spürte Mama Marlen schon da, dass Till anders ist.

Nie nach dem Warum gefragt

Im Februar 2016 – das Baby war inzwischen schon 16 Monate alt – erhielt die Tuggner Familie nach erfolgtem Gentest endlich Gewissheit. Till leidet am Coffin-Siris-Syndrom – kurz CSS. Dabei handelt es sich um einen extrem seltenen Gendefekt, der zu
diesem Zeitpunkt weltweit nur rund 120 Mal diagnostiziert worden war. Für die junge Familie war die Diagnose Schock und Erlösung zugleich. «Einerseits waren wir froh, dass das, was Till hat, endlich einen Namen hatte. Andererseits wurde es damit aber auch Realität», so Marlen Huber. Die Frage nach dem «Warum wir?» hat sich das Paar nie gestellt. «Es war uns klar, dass wir diese Frage nie beantworten können. Wir wussten einfach, dass wir es schaffen mussten. Die Frage war nur wie?»

Schwer nachzuvollziehen 

Hubers machten von Beginn an kein Geheimnis um Tills Erkrankung. Unterstützung von Familie und Freunden war ihnen auf sicher. Viele zeigten ihr Mitgefühl, boten Hilfe an. «Doch so wirklich nachvollziehen, mit welchen Gedanken wir uns plötzlich konfrontiert sahen, das konnte niemand.» Nicht einmal die Ärzte, weil sie selbst kaum Informationen über diese Neumutation hatten. «Was kommt auf uns zu, was heisst das nun für uns? – Wir fühlten uns verloren, hilflos und überfordert mit der Situation», so die 39-Jährige. «Es fehlte an einer koordinierten Anlaufstelle.»

Seither sind fünf Jahre vergangen und viele weitere Fälle dazu gekommen. Dank europäischen und internationalen Facebook-Gruppen wissen Hubers sogar von Erwachsenen mit CSS. «Ich hoffe sehr, dass Ärzte den Betroffenen heute mehr sagen können als uns damals.» Und wenn nicht, so gebe es heute immerhin den Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten – kurz KMSK.

Ein offener, freundlicher Junge

Till ist heute 6 1/2 Jahre alt. «Er ist sehr offen, hat keine Berührungsängste, ist immer freundlich und fast immer gut gelaunt», schwärmt seine Mutter. Und sein Vater ergänzt: «Er ist auch überhaupt nicht nachtragend: Ist er in einem Moment wütend, ist im anderen auch schon alles wieder in Ordnung.» 

Doch die Defizite, die die Krankheit mit sich bringt, sind offensichtlich. «Till ist noch immer sehr wacklig auf den Beinen», sagt Marlen Huber. Er kann nur schlecht sehen und kaum sprechen. Die wenigen Wörter, die er sagt, versteht nur seine Familie. Ein Kommunikationsgerät, ähnlich eines Tablets, hilft bei der Verständigung in der Familie und im Heilpädagogischen Zentrum Ausserschwyz (HZA), wo Till seit letztem Sommer an viereinhalb Tagen den grossen Kindergarten besucht. Dort macht er im Rahmen seiner Möglichkeiten regelmässig Fortschritte. So kennt er mittlerweile die Zahlen 1 bis 20 und alle Buchstaben. «Im letzten Sommer war er geistig noch auf dem Stand eines Dreijährigen», erklärt Marlen Huber.

Kindergarten brachte Entlastung

Für die Familie ist Tills Zeit am HZA eine enorme Entlastung. «Davor fuhr ich ihn dreimal die Woche zur Therapie», erzählt die Mutter. Immer dabei Tills Geschwister, was viel Zeit und Energie geraubt habe. Für die achtjährige Emilia ist Tills Krankheit kein Problem. Sie kennt ihn nicht anders. «Sie findet es cool, wie er Dinge in der Schule lernen kann, die Didaktik, die Methoden, es ist alles viel spielerischer als in der Regelschule. Deshalb möchte sie nun selber Heilpädagogin werden.»

Wo Till mit 16 Jahren stehen wird? «Solche Fragen stellen wir uns nicht. Wir können sie sowieso nicht beantworten. Wir nehmen Schritt für Schritt und schauen nicht zu weit voraus», so Roman Huber. Nur eines sind sich die Eltern bewusst: Ein komplett selbstständiges Leben, wird Till nie führen können …

Silvia Gisler, Redaktion March24 und Höfe24