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Sport
17.04.2021

Ein verrückter Hund auf dem Weg nach Olympia

Beim Weltcup-Final in Silvaplana fiel der Höfner mit seinem bunten Anzug auf.
Beim Weltcup-Final in Silvaplana fiel der Höfner mit seinem bunten Anzug auf. Bild: zvg
Der 36-jährige Höfner Steve Hiestand trainiert, um im Langlauf 2022 in Peking für Brasilien an den Start zu gehen.

Ja, ich gehöre jetzt wohl zum alten Eisen», beginnt der Höfner Steve Hiestand das Gespräch und lacht dazu. Und dieser Typ will sich in seinem ­«hohen» sportlichen Alter noch für eine Olympiade qualifizieren? «Langsam verschieben sich die Prioritäten», fügt er an. Nur eine verrückte Idee oder steckt da mehr dahinter?

Ja, es steckt definitiv mehr dahinter, das merkt man schnell im persönlichen Gespräch. Hiestand hat sich im Rudern bereits 2016 für die brasilianische Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele qualifiziert. Teilnehmen konnte er allerdings aus regeltechnischen Gründen nicht. Den grossen Aufwand mit vielen Reisen nach Brasilien danach weiterzuführen, hätte zu «Knatsch mit meiner Partnerin geführt», wie er sagt. Also musste eine Sportart her, die hier in der Schweiz trainiert wird, wo die Wege viel kürzer sind. «Wir haben Schnee hier, Langlaufen war für mich als Ruderer bereits als Ausgleichssportart bekannt.»

Die Idee, für Brasilien als Langläufer zu starten, war für den schweizerisch-brasilianischen Doppelbürger also schnell geboren. Dass es aber vom Ausgleichssport Langlauf zum Weltklasseläufer ein so harter Weg werden würde, hat er in den letzten zwei Jahren erfahren müssen. «Ich bin da schon ein bisschen ins kalte Wasser hineingerannt», lacht er. «Es hat schon die eine oder andere Tücke», hat er herausgefunden.

Steve Hiestand im Einsatz. Bild: zvg

Kompetente Unterstützung gefunden

Diesen Weg zu gehen, ginge alleine auch gar nicht. Er hat vor zwei Jahren mit Schaad Nordic-Sports in Studen einen kompetenten Partner gefunden. Kurt und Andreas Schaad haben den ambitionierten Athleten unter ihre Fittiche genommen und unterstützen ihn, wos geht. «Ich werde nie mit der absoluten Weltspitze mitlaufen können», ist sich der 36-Jährige bewusst. Dazu fehlen ihm die jahrelang antrainierten Grundlagen. Aber mit seinem unbändigen Willen und Ehrgeiz will er akzeptable Abstände zur Weltspitze erlaufen. Dass er das kann, davon ist er überzeugt.

Ein Vergleich mit «Cool Runnings» oder «Eddie the Eagle»? «Ja, wenn man das so sehen will, ist das durchaus angebracht», so Hiestand. Verrückt genug ist er. Für ihn ist es aber wichtig, dass er im Wettkampf ernst genommen wird. Jedoch: Langlauf in Brasilien? Und das erst noch als soziales Projekt für Jugendliche? Man würde meinen, dass das im Land des Fussballs nicht gerade auf der Hand liegt. Tut es auf den ersten Blick auch nicht wirklich. Aber Hiestand hilft mit seinem Projekt mit, Jugendliche von der Strasse in Såo Paulo zu bringen, ein Vorbild zu sein. Initiiert hat das Projekt Leandro Ribela, der jahrelang den brasilianischen Quotenplatz an Weltmeisterschaften innehatte und welcher sein Wissen weitergeben wollte. Trainiert wird in Brasilien mit Rollskis. Momentan ist Hiestand auch daran, ein Camp in Davos im nächsten Winter zu organisieren, um den brasilianischen Jugendlichen gute Trainingsmöglichkeiten bieten zu können. Nicht ganz einfach in diesen Zeiten.

Brasilianische Konkurrenz schlagen

So muss er zurzeit vieles unter einen Hut bringen. Seinen Beruf als Personal Trainer, sein Training, sein Kind und sein Projekt. «Ich gebe immer Vollgas bei dem, was ich mache», erklärt er.

Neben seinem Versuch, als Langläufer Fuss zu fassen, arbeitet Hiestand in seiner eigenen Firma. Bild: zvg

Und das muss er auch, sportlich gesehen. Die Idee ist schon verrückt genug. Brasilien hat für die kommenden Olympischen Winterspiele einen Quotenplatz zur Verfügung. Den besetzt momentan Manex Silva, welcher 16 Jahre jünger als Hiestand ist. «Mein Ziel ist es, Manex das Leben schwerzumachen», sagt Hiestand. «Momentan hängt er mich noch ab, aber viel weniger als auch schon», so seine Kampfansage. Sollte er Silva nicht überholen, habe es sicher den positiven Effekt, dass der 20-Jährige sich stark anstrengen und damit sein Niveau verbessern muss.

Mit dem Fördern von weiteren brasilianischen Talenten will er helfen, dass Brasilien den «Exoten-Status» im Langlauf in den nächsten Jahren ablegen kann. Dazu braucht es ein grösseres Team, auch eine Staffel.

Um sich einfacher für Weltcup­rennen zu qualifizieren, sind die Langläufer, wie auch die alpinen Skifahrer, auf Fis-Punkte angewiesen. «Ich brauche unter 90 Punkte.» Davon ist er momentan noch weit entfernt. In Europa zu starten, bringt ihm auch nicht viele Zähler, da ist die Konkurrenz viel zu gross. Seine Hoffnung schöpft er aus Rennen in Südamerika, da kann er sich viel bessere Ränge und damit Fis-Punkte erlaufen, als es hier möglich ist.

In Silvaplana auf der grossen Bühne gelaufen

Aufgefallen ist Steve Hiestand in diesem Winter dem Schweizer Publikum beim Weltcupfinal in Silvaplana.

Beim Weltcup-Final in Silvaplana fiel der Höfner mit seinem bunten Anzug auf. Bild: zvg

Beim 15-Kilometer-Lauf war sein Ziel, nicht von Bolshunov, Cologna und Co. überrundet zu werden. «Das gelang mir, ich rettete ein paar wenige Meter in die vierte Runde.» Ein Überrunden hätte das Ausscheiden und damit die Nicht-Teilnahme am 50-km-Lauf zur Folge gehabt. «Ich war völlig ausgepumpt», gibt er zu. In der abschliessenden, vierten Runde konnte er das Tempo rausnehmen. Mit seinem selbst gestalteten gelb-grünen Rennanzug fällt er auf. Das ist Konzept, denn im offiziellen brasilianischen Anzug würde er viel weniger auffallen. Im abschliessenden 50er kam er mit über einer Stunde Rückstand auf Sieger Simen Hegstad Krueger ins Ziel. Das war für ihn nach dem einigermassen guten Resultat im 15er ernüchternd. Er wurde damit zweitbester Brasilianer, über 40 Minuten hinter seinem direkten Konkurrenten um einen Olympiaplatz.

Immerhin, die volle Aufmerksamkeit hatte der Höfner im Ziel. «Alle klatschten, es lief brasilianische Musik», erinnert er sich gerne. Immerhin gabs im Engadin auch einige Sekunden Airtime, Momente, in denen Hiestand am Fernsehen zu sehen war. Das kann seiner Mission nur gut tun. «Ich will so sauber laufen können, dass es von mir keine Sturzvideos gibt», ist sein Minimalziel. «Zehn Minuten Rückstand auf die absolute Weltspitze wären ok, das ist für mich absolut realistisch.» Er kennt das schon aus dem Rudern: «All-in» ist sein Motto, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, manchmal auch «über Leichen zu gehen». Das ist nicht immer für alle einfach, wie er über die Jahre gemerkt hat. «Man muss kein Spinner sein, um sich ein solches Ziel zu setzen. Höchstens vielleicht ein verrückter Hund.»

Franz Feldmann, Sportredaktion March24 & Höfe24