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Sport
04.03.2021

Doppel-Weltmeisterin: eine märchenhafte Geschichte

Bild: Björn Reichert/IBU
Gold im Sprint und in der Verfolgung. Amy Baserga überzeugte an der Junioren-WM auf der ganzen Linie. Nach dem, was im Sommer passiert ist, eine schier unglaubliche Geschichte.

Ein lautes «Yes» ­besiegelte den dritten Einsatz von Amy Baserga an den Juniorinnen-Weltmeisterschaften gestern Mittag in der Verfolgung in Obertilliach. Beide Fäuste in den Himmel gereckt. Was zuvor geschehen war, wäre vor ein paar Wochen, ja eigentlich noch vor ein paar Tagen, undenkbar gewesen. Eben erst war sie dankbar, überhaupt an den Titelkämpfen in Obertilliach starten zu dürfen. Der Erwartungsdruck, auch ihr eigener, war dementsprechend klein.

Nun dies: Nach dem Gold vorgestern im Sprint holte sich Amy Baserga in der Verfolgung bereits die zweite Goldmedaille ab. Und wie! Es war eine reine Machtdemonstration der Einsiedlerin. Mit gut 20 Sekunden Vorsprung durfte sie vor ­allen anderen Konkurrentinnen in die Spur. Zu keinem Zeitpunkt des Rennens gab es auch nur den kleinsten Zweifel, welcher Name am Schluss zuoberst auf der Anzeigetafel stehen würde. Souverän spulte die 20-­Jährige die fünf Runden à zwei Kilometer ab. Im Liegendschiessen traf sie zehn von zehn Schüssen. Einzig im ersten Stehendschiessen verpasste sie das Ziel einmal um Millimeter, im letzten Durchgang blieb sie erneut fehlerfrei. «Keine Ahnung, woher ich diese Energie für dieses Rennen nehmen konnte», rätselte die Doppelweltmeisterin, denn nach dem Sieg im Sprint und den vielen Glückwünschen sei sie am Abend früh erschöpft ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen.

«Ich will im Verfolger den Wettkampf geniessen», hatte Amy Baserga nach dem Gewinn der Goldmedaille im Sprint am Dienstag gesagt und auch noch nicht gewusst, ob sie die Kraft für einen erneuten Sieg nochmals aufbringen konnte. Geniessen, das konnte sie offensichtlich von der ersten Runde weg. «Ich machte mir während des ganzen Rennens keine Gedanken, das war der Schlüssel zum Erfolg», so eine überglückliche Baserga am Ziel.

Die zweite Medaille: Baserga holt auch Gold in der Verfolgung. Bild: Björn Reichert/IBU

Dankbar für alles

Nach dem letzten Schuss, als allen klar war, dass Baserga der Sieg nicht zu nehmen war, huschte ein erstes Lächeln über das Gesicht der Einsiedlerin. Auch wenn ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht restlos klar war, dass es erneut eine goldene ­Medaille werden würde, die ihr nach dem Rennen überreicht würde. Und dieses Lächeln brachte sie während der abschliessenden zwei Kilo­meter nicht mehr aus dem Gesicht. Da ihre Trainer ihr nur einen knappen Vorsprung von 13 Sekunden auf ihre nächste Verfolgerin angaben, gab sie im letzten Anstieg nochmals Vollgas. Das wäre eigentlich nicht mehr nötig gewesen. So blieb der Konkurrenz nur noch der Kampf um die Silber- respektive die Bronzemedaille, den die Norwegerin Synne Owren knapp vor der Südtirolerin Rebecca Passler gewinnen konnte.

«Diesen Sieg widme ich meinem ganzen Team, den Trainern, Wach­sern, meinen Teamkolleginnen und meiner Familie», strahlte Baserga. Ihr sei gestern nach der zweiten Gold­medaille so richtig bewusst geworden, wem sie alles dankbar für diesen Erfolg sei. «Dass ich an der WM eine solche Leistung zeigen konnte, das ist einfach traumhaft.»

Kommentar

von Lars Morger

Chapeau, Amy!

Zweite Goldmedaille innert 24 Stunden. Amy Baserga hat es allen gezeigt. Nicht gerade viel deutete vor der WM daraufhin, dass die Einsiedlerin in die Nähe der Medaillen, geschweige denn zu Gold laufen würde. Zu wenig überzeugend waren die Leistungen in dieser Saison. Zu schwer wog verständlicherweise der Verlust ihres Freundes im Sommer. Immer wieder holten sie die Emotionen ein. Sie brauchte viel Zeit, um wieder in die Spur zu kommen. Lange war unklar, ob sie je wieder zu alter Stärke zurückfinden kann. Dass sie trotz des schweren Schicksalsschlags genau zum richtigen Zeitpunkt den Weg zurück gefunden hat, zeugt von ihrem brutalen Willen und enormen Durchhaltevermögen, aber auch von ihrem intakten Umfeld. Viele andere wären an solchen Erlebnissen, wie sie die Einsiedlerin ertragen musste, komplett zerbrochen, die sportliche Karriere wäre vorüber gewesen. Aber nicht Amy Baserga. Und darum ziehen wir den Hut.

Franz Feldmann und Lars Morger, Sportredaktion March24 & Höfe24