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Sport
29.01.2021

«Ich will es nochmals der ganzen Welt zeigen»

Der Siebner Joe Broder bringt junge MTB-Talente an die Weltspitze (Bild zvg).
Der Siebner Joe Broder bringt junge MTB-Talente an die Weltspitze (Bild zvg). Bild: zvg
Seit 2010 führt der Siebner Joe Broder das Mountainbike-Team «jb Racing». Der 70-Jährige über seine Motivation, die Herausforderungen mit Nachwuchsfahrern und sein letztes Projekt.

Joe Broder ist ein Mann auf zwei Rädern. Fuhr er früher noch Motorradrennen, verschreibt er seit 2010 sein -Leben dem Mountainbike-Sport und seinem Nachwuchs. Mit seinem Team hat Broder bereits diverse Schweizer Meistertitel, EM- und WM-Medaillen geholt. Seit 2018 gilt seine Mannschaft im Mountainbike-Weltcup als Elite-Team – ein Gütesiegel für die äusserst erfolgreiche Arbeit, die der Märchler verrichtet.

Joe Broder, Sie gelten als hervorragender Ausbildner, dem der Nachwuchs am Herzen liegt. Im Spitzensport geht es aber nur um den Erfolg, oder?

Der Nachwuchs ist unsere Zukunft. Wenn wir ihm keine Sorge tragen, dann wird es für unseren Sport schwierig. Klar ist der Erfolg auch in unserem Team wichtig. Nur mit guten Resultaten können wir ein Elite-Team bleiben. Aber mir ist auch die menschliche Komponente wichtig.

Das heisst?

Ich bin überzeugt, dass eine Athletin oder ein Athlet nur gute Leistungen bringen kann, wenn auch das Umfeld stimmt. Dazu braucht es abseits der Rennstrecke auch ein gutes Verhältnis zwischen Team und Athlet. Der Sportler muss die Unterstützung spüren, wenn es mal nicht so gut läuft. Dann braucht er sein Team am meisten.

Sind denn die Jungen nicht anstrengender als Profis?

Nein, ganz im Gegenteil. Sie sind einfacher. Bei den Jungen merkt man viel mehr, dass sie Freude haben. Sie haben ja aus irgendeinem Grund angefangen, Mountainbike zu fahren. Es gibt aber auch grosse Herausforderungen.

Welche zum Beispiel?

Im Nachwuchs kommt viel zum Sport hinzu. Schule, Lehre, die Eltern. Ich versuche immer, meinen Fahrern zu helfen, wenn sie Probleme haben. Sie sollen eine Ausbildung abschliessen, bevor sie voll auf den Sport setzen. Denn ich will nicht derjenige sein, der Schuld ist, wenn der Sportler den Sprung zum Profi nicht schafft und dann keine Ausbildung vorzuweisen hat.

Werden die Eltern ein immer grösseres Problem?

Jein. Es ist tatsächlich so, dass immer mehr Eltern ihre Kinder pushen. Das macht es auch für mich als Teamchef schwieriger. Ich musste auch schon Eltern zusammenstauchen, weil sie das Gefühl hatten, immer und überall dreinreden zu müssen. Aber das ist die Minderheit.

In Ihrem Team sind Sie für alles verantwortlich. 

Ich bin Teamchef, Mechaniker und Sponsoring-Verantwortlicher gleichzeitig und das alles ohne Lohn. Das gibt es heute eigentlich nicht mehr. Die Topteams arbeiten mit einem Budget von zwei Millionen, wir mit 300 000 Franken. Dieses immer wieder zusammenstellen zu können, ist viel Arbeit. Aber ich mache das sehr gerne aus Leidenschaft für meine Fahrerinnen und Fahrer. So kann ich ihnen, wenn immer möglich, die besten Voraussetzungen schaffen.

Und dennoch wäre im letzten Jahr beinahe Schluss gewesen ...

Ja. Unser langjähriger Materialpartner Felt produziert keine Mountainbikes mehr. Und alles von Null auf neu zu starten, kam für mich nicht in Frage. Ausserdem war ich der Meinung, dass ich alles erreicht habe und ganz oben angekommen bin. Ich wollte eigentlich aufhören ...

... und doch sitzen Sie noch hier.

Der Bikehersteller Superior kam auf uns zu und wollte mit uns zusammenarbeiten. Da kam ich schon ins Grübeln. Eigentlich war mein Entschluss gefasst, nicht mehr alles neu aufbauen zu wollen. Ich sagte zu Superior, dass eine Zusammenarbeit nur in Frage kommt, wenn wir das Werksteam sind und auf die volle Unterstützung zählen können. Doch sicher war ich auch nach der Superior-Zusage nicht, ich musste meinen Kopf lüften.

Erzählen Sie.

Ich sagte zu meiner Frau, dass ich mit unserem Hund während vier Tagen über den Grossen St. Bernhard laufen werde, sie solle mit dem Wohnmobil im Aostatal auf mich warten. Bis dann hätte ich eine Entscheidung gefällt.

Der Weg der Erleuchtung?

Als ich auf der Passhöhe ankam, wurde es fast ein wenig religiös. Ich schaute in den Himmel und fragte mich, wieso nicht die Götter für mich entscheiden könnten. Plötzlich kam die Einsicht: ‹Und ob du weitermachen wirst, Joe!› Da wurde mir auf einmal bewusst: Ja, ich will es nochmals der ganzen Welt zeigen!

Welche Herausforderungen warten auf das neue Team?

Wir müssen nun alles neu aufbauen, eine neue Infrastruktur. Ich darf aber glücklicherweise mit der bisherigen Teamstruktur weitermachen, das erleichtert den Umstieg. Dass wir diese Möglichkeit bekommen, ist wie ein kleines Märchen. Wir werden mit Vollgas alles geben, damit es funktioniert.

Wie lange bleiben Sie noch an Bord?

Ich werde sicher noch drei Jahre machen, bis dann will ich einen jungen Teamchef als Nachfolger gefunden haben. Ausserdem will ich, dass die Strukturen bis dann so gut sind, dass wir ihm auch einen Lohn bezahlen können. Denn wer ist schon freiwillig vier Monate im Jahr weg, ohne dafür bezahlt zu werden (lacht)?

Das oberste Ziel bleibt aber die Nachwuchsförderung.

Ja, das will ich auch in Zukunft zu meiner obersten Priorität machen. Denn es gibt kein anderes Team, das seine Fahrer vom Nachwuchs bis in die Elite im selben Team führen will. Das gilt es zu erhalten.

Wieso gibt es in der Mountainbike-Elite fast keine Teams, die auf den Nachwuchs setzen?

Vielen Teams geht es nur um den Erfolg und Geld. Sie picken sich die Rosinen heraus, setzen nur auf drei bis fünf Fahrer. Nachwuchsarbeit bedeutet auch Aufwand. Viele Teams sind nicht bereit, diesen Aufwand auf sich zu nehmen. Sie lassen lieber andere machen und nehmen dann die besten Fahrer unter Vertrag. Und wenn die Leistung nicht mehr stimmt, gibt es keinen Platz mehr in einem der grossen Teams.

Sie haben Fahrern wie Thomas -Litscher oder Ramona Forchini einen Platz in Ihrem Elite-Team verschafft, weil sie kein anderes Team wollte. Wieso?

Ich wusste um das Potenzial von Ramona und Thomas. Ich war überzeugt, dass solche Fahrer unser Team weiterbringen können. Auch wenn es ein grosser Aufwand war, die beiden finanziell zu stemmen.

Das Risiko bezahlte sich aus.

Ja, doppelt und dreifach. Thomas holte gleich im ersten Jahr völlig überraschend WM-Bronze. Das war ein Meilenstein für unser Team. Litscher legte den Grundstein dafür, dass wir in die Elite aufsteigen konnten. Bei Ramona war es ähnlich. Sie kam von einer Verletzung zurück und zeigte immer bessere Leistungen. Sie war aber noch nicht am absoluten Höhepunkt. Dennoch sagte ich zu ihr: ‹Komm, jetzt versuchen wir etwas Verrücktes›.

Dann haben Sie sie 2020 an die Marathon-WM in die Türkei geschickt.

Ja. Ich habe ihr am Flughafen gesagt, sie solle nicht ohne Weltmeistertitel nach Hause kommen, sonst könne sie gleich dortbleiben (lacht). Das war natürlich nur Spass, aber sie hat mich wohl gehört und kam mit Gold zurück. Das macht mir einfach unglaubliche Freude.

Was ist Ihr letztes, grosses Ziel?

Eigentlich war es mein letztes, grosses Ziel, einen Sportler aus meinem Team an der Olympiade in Tokio zu sehen. Das hätte mit Max Foidl auch beinahe geklappt. Er hat nun aber aus persönlichen Gründen in ein anderes Team gewechselt.

Wird sich Ihr Ziel nun nicht erfüllen?

Moment. Noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Wenn unsere Holländerin Sophie von Berswordt-Wallrabe eine gute Saison zeigt, hat sie Chancen auf einen Platz im holländischen Olympia-Team.

Also geht es Ihnen doch nur um den Erfolg?

Nein. Die Erfolge sind mir nicht am wichtigsten. Mir bedeutet es viel mehr, unseren Nachwuchsfahrern zu helfen, sie weiterzubringen, für sie da zu sein. (Lars Morger)

Franz Feldmann, Sportredaktion March24 & Höfe24