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Sport
09.12.2020

Stefan Hürlimann: In der zweiten Karriere unparteiisch

Neu im «Zebra-Gewand»: Stefan Hürlimann bei seinem ersten Spiel als Headschiedsrichter in der National League. (Bild: Keystone)
Neu im «Zebra-Gewand»: Stefan Hürlimann bei seinem ersten Spiel als Headschiedsrichter in der National League. (Bild: Keystone) Bild: Keystone
Als Stürmer erlangte der Einsiedler Stefan Hürlimann Kultstatus bei den SC Rapperswil-Jona Lakers. Vor einer Woche stand er wieder mit den Lakers auf dem Eis – bei seiner National-League-Premiere als Headschiedsrichter.

Ich bin megahappy, mir fällt ein Stein vom Herzen», beschreibt Stefan Hürlimann, wie er sich am Mittwoch kurz vor 22 Uhr fühlte. Eben hatte der 35-Jährige in Davos zusammen mit dem WM- und Olympia-erprobten Daniel Stricker sein erstes Spiel in der höchsten Schweizer Eishockeyliga geleitet.

Dass die Lakers – sie unterlagen dem HCD 2:4 – bei Hürlimanns Premiere involviert waren, war Zufall, machte dessen speziellen Abend aber noch spezieller. Im Nachwuchs der Rapperswil-Joner reifte der gebürtige Einsiedler einst zum Eishockeyprofi. Exakt 600 Mal stürmte er von 2003 bis 2015 in der NLA, 536 Partien davon im Trikot der Lakers. In den beiden letzten Saisons war er ihr Captain. «Hüle» war kein begnadeter Skorer und keiner für die Galerie, hinterliess aber mit jeder Menge Leidenschaft, Einsatz, Sportgeist und Bescheidenheit bleibenden Eindruck. Lange war er aus dem Klub am Obersee nicht wegzudenken. Die internationale Eishockey-Datenbank «eliteprospects.com»führt ihn aus gutem Grund als «Cultplayer for Rapperswil-Jona».

Bei den Lakers erlangte der Einsiedler Kultstatus. (Bild: Keystone) Bild: Keystone

Die Nervosität kaschiert

«Bei den Lakers wurde ich gross, ich habe ‹Rappi› als Spieler megaviel zu verdanken», sagt Hürlimann. Sogleich fügt er an: «Als Unparteiischer ist man aber unparteiisch.» Das ist selbstverständlich. Natürlich deutete während seiner souveränen Spielleitung am Mittwoch keiner von Hürlimanns Entscheiden auf seine langjährige Vergangenheit bei den Lakers hin.

Auch wenn man es ihm nicht anmerkte, «im ersten Drittel war ich nervös», gibt Hürlimann zu. Als Schiedsrichter sei man exponierter, wenn Fehler passieren. Er habe schliesslich auch bei den beiden Teams einen guten Eindruck hinterlassen wollen. Dies gelang dem Debütanten. Schon bald nach dem Spiel hatte er an die 50 Gratulationsnachrichten auf seinem Handy. «Das hat mich riesig gefreut!»

Stefan Hürlimann hat das Geschehen im Blick. (Bild: Keystone) Bild: Keystone

Regeltest als Aha-Effekt

Hürlimanns Werdegang vom Profispieler zum National-League-Headschiedsrichter war ein schneller. 2017 beendete er nach zwei Saisons in der Swiss League beim EHC Olten mit erst 32 Jahren seine Spielerkarriere. Davor war eine Rückkehr zu den Lakers oder ein Wechsel zum SC Langenthal im Raum gestanden. Der gelernte Kaufmann nahm aber die Gelegenheit wahr, in Olten in ein neues Berufsleben einzusteigen. Seither arbeitet er Teilzeit als Immobilienverwalter.

Parallel liess sich Hürlimann, der mit seiner langjährigen Partnerin und dem gemeinsamen elfjährigen Sohn im Kanton Solothurn wohnt, zum Schiedsrichter ausbilden. Was die wenigsten Ex-Eishockeyprofis machen, war auch bei Hürlimann keine seit Langem gehegte Absicht. 2016 hatte er mal einen Regeltest absolviert. Dieser öffnete ihm die Augen. «Da merkte ich erst, dass ich als Spieler manche Eishockeyregeln gar nicht kannte. So geht es wohl auch manchen anderen.»

«Da merkte ich erst, dass ich manche Regeln gar nicht kannte.»
Stefan Hürlimann, Schiedsrichter und Ex-Eishockeyspieler

Nach dem Rücktritt erkannte Hürlimann die Möglichkeit, als Schiedsrichter dem Eishockey, «immer noch die geilste Sportart», wie er es nennt, verbunden zu bleiben und seinem Sport etwas zurückzugeben. Wenige Monate später stieg er mit ersten Spielen in der 4. und 3. Liga als Schiedsrichter ein. Weil die entsprechenden Kurse, Prüfungen sowie Beurteilungen der Experten glatt liefen, war er schon bald Schiedsrichter in der MSL und in den Elite-Juniorenligen.

«Für Ex-Spieler gibt es im Schweizer Eishockeyverband den schnellen Weg. Innert drei Jahren kann man in die Gruppe Leistungssport, das heisst National League, Swiss League, U20-Elite und U17-Elite, aufsteigen,» erklärt Hürlimann. Sein erstes Swiss-League-Spiel pfiff er nur etwas mehr als zweineinhalb Jahre nach dem Rücktritt am 12. Oktober 2019: EVZ Academy gegen den EHC Kloten. Sein Partner war auch damals der erfahrene Daniel Stricker. «Von ihm kann ich sehr viel profitieren, er ist ein absoluter Profi», lobt Hürlimann.

Daniel Stricker (Bild: Keystone) Bild: Keystone

Klare Kommunikation

In mehr als zehn Spielen war der Ex-Eishockeyaner in der letzten Saison allein in der Swiss League im Einsatz, in weit über 70 während der gesamten Spielzeit. «Es macht mir unglaublichen Spass», sagt Hürlimann. Seine Devise als Chef auf dem Eis ist: «Ich will, dass die Spieler ihr bestes Hockey spielen können und nicht durch andere Faktoren abgelenkt werden.» Zudem versucht er, klar zu kommunizieren, damit ein Spieler weiss, wenn er sich am Limit bewegt respektive vor einer Strafe steht.

Hürlimann hat kein Problem damit, wenn ihm mal ein Fehler unterläuft. «Das ist normal, aber klar sollten es nicht zu viele sein. Der Schiedsrichter hat nur eine einzige Chance, zu entscheiden und dies innerhalb einer Sekunde. Eine Mannschaft hat dagegen 60 Minuten Zeit, das Spiel zu gewinnen.»

Als Spieler habe er den Schiedsrichter immer mit Respekt betrachtet, sagt Hürlimann. Den Schiedsrichter anbrüllen sei kontraproduktiv, Wer anständig frage, bekomme auch eine anständige Antwort, war ihm klar. «Als Spieler sieht man nur das eigene Team. Man will gewinnen und den Vorteil auf seine Seite ziehen», weiss er aus eigener Erfahrung bestens. «Anders, als viele von aussen urteilen, pfeift der ‹Schiri› aber nicht für oder gegen eine Mannschaft. Ihm ist es egal, wer gewinnt, und das will auch ich vermitteln.»

«Dem Schiedsrichter ist es egal, welches Team gewinnt.»

Freunde bestrafen

In der Seele ist Hürlimann Eishockeyspieler geblieben. Auch als Spielleiter erfreut er sich an tollen Toren und schönen Aktionen. Und manchmal muss er sich ein Lachen verkneifen. Viele seiner langjährigen Weggefährten und Gegenspieler sind noch immer aktiv, oder sie sind mittlerweile Trainer oder in der sportlichen oder geschäftlichen Führung von Klubs. Ist diese Nähe für den Schiedsrichter Hürlimann ein Problem? «Überhaupt nicht», winkt er ab, «jeder weiss, was sich gehört. Alles andere wäre unprofessionell.» Hürlimann erzählt, wie er auch schon richtig gute Kumpels wie Dario Kummer oder Diego Schwarzenbach, zwei seiner früheren Mitspieler im Inlinehockey-Nationalteam, auf die Strafbank geschickt hat.

Seinen nächsten Einsatz hat Hürlimann morgen Donnerstag beim Duell Ajoie – Thurgau in der Swiss League. Vier Tage später folgt der Cup-Viertelfinal Ajoie gegen Bern. Der 35-Jährige denkt, dass er bald auch zu weiteren Einsätzen in der National League gelangt. Profi-Schiedsrichter ist er nicht und ob er einer werden will, lässt er offen. Denn auch sein Job in der Immobilienbranche macht ihm sehr viel Freude.

Das Ende der Fahnenstange sieht Stefan Hürlimann aber nicht erreicht: «Es wäre toll, fix in der National League zu sein», sagt er. Die Träume gehen darüber hinaus, hin zu etwas, was er als Eishockeyspieler nie erlebte: «Eine WM wäre cool. Und noch grossartiger wäre es, bei Olympischen Spielen dabei zu sein.»

Bernhard Camenisch, Linth-Zeitung