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05.10.2023

Tempo-30-Zonen: Pro und Contra

In Wetzikon sollen 21 zusätzliche Tempo-30-Zonen entstehen.
In Wetzikon sollen 21 zusätzliche Tempo-30-Zonen entstehen. Bild: Archiv
Am 19. November stimmt die Wetziker Bevölkerung über die Vorlage «Tempo 30 in Wohnquartieren» ab. Insgesamt sollen in der Stadt 21 neue Zonen geschaffen werden mit dem Ziel, die Lebensqualität und die Verkehrssicherheit zu steigern. Wir haben einen Befürworter und einen Gegner der Vorlage dazu befragt.

Herr Zarth, was sind für Sie die drei Hauptargumente, warum es diese flächendeckenden Tempo-30-Zonen braucht?

Raphael Zarth (Grüne): Um klarzustellen: Es geht nicht um eine flächendeckende Einführung in ganz Wetzikon, sondern um die Beruhigung der Wohnquartiere. Auf den Hauptstrassen und in reinen Gewerbe- und Industriegebieten gilt weiterhin Tempo 50. Hier verdreht das Referendumskomitee die Fakten! Die drei Hauptargumente sind: mehr Sicherheit, Steigerung der Wohn- und Lebensqualität, geringere Lärm- und Abgasemissionen.

Warum sollen die Zonen so markant ausgeweitet werden?

Es geht um die Beruhigung der Wohnquartiere – also dort, wo die Wetzikerinnen und Wetziker zuhause sind. Auf den Hauptstrassen ist der Kanton für die Definition der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten zuständig, nicht die Gemeinde. Die Hauptstrassen sind deshalb nicht von der Abstimmung zu Tempo 30 in Wohnquartieren betroffen.

Im behördenverbindlichen kommunalen Richtplan setzte die Gemeindeversammlung 2012 eine Verppflichtung zu einer quartierweisen Einführung von Tempo 30 fest. Seither wurden nur zwei Tempo-30-Zonen eingeführt: südlich der Eisenbahnlinie sowie in Robenhausen. Wegen Überschreitung der Lärmgrenzwerte musste an der Usterstrasse und der Bachtelstrasse aufgrund von kantonalen Vorgaben zudem Tempo 30 eingeführt werden. In den letzten Jahren gab es 26 politische Vorstösse und Begehren aus diversen Quartieren zur Einführung von Tempo 30.

Das Parlament hat die aktuelle Vorlage mit 17 Ja zu 14 Nein und 3 Enthaltungen nur knapp angenommen.

Der Stadtrat hat dem Parlament aufgrund der Begehren aus der Bevölkerung und parlamentarischer Vorstösse eine finanziell sorgfältige und  inhaltlich überzeugend ausgearbeitete Vorlage zur Abstimmung unterbreitet. Die Mehrheit des Parlaments hat dieser Vorlage zugestimmt.

«Dank Tempo 30 werden wir eine höhere Wohn- und Lebensqualität und damit eine Stärkung des Standorts Wetzikon erreichen.»
Raphael Zarth, Grüne Partei

Die Gegner argumentieren, dass sich die Stadt solche Investitionen nicht leisten könne.

Das vorliegende Gesamtpaket ist ausserordentlich kostengünstig. Würde es abgelehnt, wären weitere Begehren um zonenweise Einführung absehbar, die bei individueller Umsetzung wesentlich teurer zu stehen kämen. Zum Vergleich: Die Umsetzung von Tempo 30 in Robenhausen kostete mehr als 300'000 Franken. Nun kosten alle 21 Wohnquartiere weniger als 900'000 Franken.

Der Stadtrat sagt, dass der Verkehrsfluss durch die Einführung nicht beeinträchtigt werde. Die Gegner argumentieren, dass das sonst schon belastete Hauptverkehrssystem noch stärker beansprucht würde.

Tempo 30 führt nicht zu mehr Autos auf den Wetziker Strassen, sondern verlangsamt die Autos nur in den Wohnquartieren. Dank Tempo 30 werden wir eine höhere Wohn- und Lebensqualität und damit eine Stärkung des Standorts Wetzikon erreichen. Tempo-30-Zonen schränken niemanden ein – erst recht keine Autofahrenden. Der Zeitverlust ist marginal und im Sekundenbereich.

Vielmehr werden unsere Quartiere und öffentlichen Orte wieder attraktiver, da sie zum Verweilen, zum Spielen, zum Einkaufen oder Einkehren animieren.

Die Gegner argumentieren, dass die Sicherheit nicht erhöht, sondern herabgesetzt würde, weil z.B. Fussgängerstreifen aufgehoben würden.

Entweder kennt das Referendumskomitee die wissenschaftlich bestätigten Fakten nicht – oder es verdreht die Fakten wissentlich. Sonst würde es nicht solche Schreckgespenster und Unwahrheiten zum Thema Tempo 30 und Sicherheit verbreiten. Wahr ist: Die Anordnung von Fussgängerstreifen in Tempo-30-Zonen ist unzulässig. Jedoch dürfen Fussgängerstreifen angebracht oder beibehalten werden, wenn besondere Vortrittsbedürfnisse für Fussgänger dies erfordern, z.B. bei Schulen, Altersheimen oder an gefährlichen Standorten.

Viel wichtiger ist aber: Mindestens ein Drittel von schweren Verkehrsunfällen lassen sich durch eine konsequentere Einführung von Tempo 30 verhindern. Falls es in einer Tempo-30-Zone doch mal «chlöpft», sind die Folgen aufgrund kürzerer Bremswege und tieferer Kollisionsgeschwindigkeiten meist deutlich weniger gravierend.

Was sagen Sie jenen Menschen, die nicht an einer Quartierstrasse wohnen, sondern an einer der Hauptverkehrsachsen?

Es wäre wünschenswert, dass die Bevölkerung für Fahrten innerhalb von Wetzikon generell mehr mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs wäre. Dann hätten auch die Anwohner von Hauptverkehrsachsen weniger Verkehrslärm und würden von einer höheren Wohnqualität profitieren. Auch aus Solidarität sollten wir, wenn immer möglich, auf das Auto verzichten. Dank Tempo 30 wird dies für alle attraktiver. So können Kinder gefahrlos
zu Fuss zur Schule gehen. Elterntaxis werden überflüssig.

Bereits heute kommt es in Stosszeiten auf den Hauptverkehrsachsen in Wetzikon zu Stau...

Die Staus sind eine Folge der Anzahl Autos auf den Strassen und nicht der Geschwindigkeits-Limiten. Ich sehe es so: Wenn in den Wohnquartieren Tempo 30 eingeführt wird, wird es viel attraktiver, das Velo statt das Auto zu nehmen oder kürzere Distanzen sogar zu Fuss zurückzulegen. Dies könnte auch dazu führen, dass weniger Autos auf den Wetziker Strassen unterwegs sind, was zu weniger Stau führen würde.

Die VZO haben im Fahrplanentwurf 2024 darauf hingewiesen, dass mit der Einführung weiterer Tempo-30-Zonen in Wetzikon gewisse Haltestellen in den Hauptverkehrszeiten nicht mehr bedient würden, weil der Fahrplan sonst nicht mehr eingehalten werden könne.

In Wetzikon verkehren mit Ausnahme der Weiherstrasse keine Busse auf künftigen Tempo-30-Strassen. Der Zeitverlust auf der kurzen Weiherstrasse wegen Tempo 30 ist marginal und nicht relevant für die Pünktlichkeit der Busse.

Rot: geplante Tempo-30-Zonen. Grün: bestehende oder bereits bewilligte Tempo-30-Zonen / Begegnungszone. Bild: Stadt Wetzikon

Herr Zollinger, was sind für Sie die drei Hauptargumente, warum die geplanten zusätzlichen Tempo-30-Zonen falsch sind?

Sven Zollinger (FDP): Diese Vorlage ist aus unserer Sicht masslos, teuer und hat einen Abbau des öffentlichen Verkehrs zur Folge. Eine Güterabwägung hat nicht stattgefunden. Viele der betroffenen Strassen, wie beispielsweise die Nordstrasse, sind nicht geeignet, um schneller als 30 zu fahren, dennoch sollen sie für teures Geld ummarkiert werden. Im Weiteren haben die VZO die Stadt Wetzikon gewarnt, dass bei weiteren Tempo-30-Zonen gewisse Haltestellen nicht mehr bedient werden können. Bei schlechter ÖV-Erschliessung überlege ich mir zweimal, ob ich den Bus oder das Auto nehme.

Mit den zusätzlichen Tempo-30-Zonen sollen u.a. Schulwege sicherer werden. 11 der 21 neu geplanten Tempo-30-Zonen liegen im Umfeld von Kindergärten, Schulen und Alterseinrichtungen. Wollen Sie keine höhere Sicherheit für Kinder und ältere Menschen?

Fakt ist: In Tempo-30-Zonen sind Fussgängerstreifen grundsätzlich aufzuheben. Wenn wir eine schmale Strasse mit Tafeln und Hindernissen versehen, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine zuvor übersichtliche Strasse mit der neuen Beschilderung die Sicherheit erhöht.

Unter dem Motto «Läbe» stehen Sie als FDP-Politiker u.a. für die Aufwertung des öffentlichen Raums sowie für Begegnungsorte für Jung und Alt ein. Wäre diese Vorlage nicht genau ein solches Ziel?

Die Strassen dienen in ersten Linie der verkehrlichen Erschliessung. Wir haben genügend Plätze, die eine Aufwertung erfahren dürfen. Beispielsweise den neuen Vorplatz vor der Migros, welcher leider durch den Rekurs des VCS eine Verzögerung erfahren hat.

Der Stadtrat erhielt immer mehr Anfragen und Anliegen aus der Bevölkerung zum Thema Temporeduktion. Ist doch gut, wenn der Stadtrat
die Bedürfnisse der Bevölkerung ernst nimmt...

Die Bevölkerung hat im kommunalen Richtplan festgelegt, dass Tempo-30-Zonen quartierweise geprüft und nicht flächendeckend eingeführt werden sollen. Stadtrat und Parlament haben sich über dieses behördenverbindliche Planungsinstrument bewusst hinweggesetzt. Und Fakt ist, dass die bisherigen Vorlagen vom Volk verworfen worden sind.

«In Wetzikon fehlt eine Mobilitätsstrategie.»
Sven Zollinger, Parteipräsident FDP Wetzikon

Gemäss Stadtrat wird durch die Einführung der Verkehrsfluss nicht beeinträchtigt.

Der Stadtrat kann zum heutigen Zeitpunkt diese Frage gar nicht beantworten. In Wetzikon fehlt eine Mobilitätsstrategie und wird nun erst aufgegleist. Ohne zu wissen, wo und wie wir uns zukünftig in Wetzikon bewegen, sind zusätzliche Verkehrsmassnahmen wie die geplanten Tempo-30-Zonen unüberlegt.

Die Tempo-30-Zonen würde die Stadt rund 890'000 Franken kosten. Kann die Stadt sich das überhaupt leisten?

Wir stimmen gleichzeitig über einen neuen Standort für die Polizei und die Feuerwehr ab, Schulgebäude und Kindergärten werden folgen. Wetzikon profitiert vom kantonalen Ressourcenausgleich, das heisst, wir erhalten Geld von reicheren Gemeinden, um es auf das kantonale Mittel zu schaffen. Solange wir Bezüger aus diesen Töpfen sind, sollten wir uns zweimal überlegen, ob und welche Investitionen wir tätigen.

Schlussfrage: Wie sehen Sie die Stadt Wetzikon verkehrstechnisch in 20 Jahren? Was wünschen Sie sich diesbezüglich?

Raphael Zarth: Stellen Sie sich vor, was erreicht werden könnte: autofreie Wohnzonen, wo Kinder auf der Strasse spielen und sich Nachbarn begegnen können. Und ein verkehrsberuhigtes Zentrum, das von Wetzikerinnen und Wetzikern und vom Kleingewerbe belebt wird, anstatt im Autoverkehr zu ertrinken. Dies würde ermöglicht durch einen starken öV, der alle Wetziker Quartiere erschliesst und miteinander verbindet, sowie sichere Velorouten. Und ganz zum Schluss: Autos sollen wieder Nutzfahrzeuge sein, welche wir nicht als Statussymbole besitzen müssen, sondern miteinander teilen und so den Verkehr reduzieren können.

Sven Zollinger: Ich wünsche mir ein leistungsfähiges Verkehrsnetz bestehend aus Fuss-, Velo-, öV- und Strassennetz, worin alle Verkehrsteilnehmer gleichbehandelt und nicht zu Gunsten anderer eingeschränkt werden. Zudem muss endlich der Autobahnanschluss realisiert werden.

Die Interviews wurden schriftlich geführt. Sie sind am 6. Oktober 2023 auch in der Wetziker Post erschienen.

Raphael Zarth ist in Wetzikon geboren und aufgewachsen. Zarth arbeitet im Business Development Private Banking. Er wohnt mit seiner Frau und seiner Tochter an der Spitalstrasse. Seine Lieblingsorte in Wetzikon sind die Badi Auslikon mit dem Naturschutzgebiet, die Schöneich und das Ambitzgi-Riet.

Sven Zollinger ist in der Immobilienbranche tätig und lebt seit 2013 in Wetzikon. Zusammen mit seinem Partner wohnt er an einer Quartierstrasse. Sein Lieblingsort in Wetzikon ist das Robenhauser Ried.

Barbara Tudor