Aussendienstler, Transportunternehmer oder andere «Schweizreisende» kennen das Problem: Die Benzin- und Dieselpreise sind in der Region Nordbünden/Sarganserland/Rheintal deutlich höher als an den meisten übrigen Orten der Schweiz. Am letzten Augustwochenende zahlte man für den Liter Diesel im Churer Rheintal oder Sarganserland im Schnitt beispielsweise 2.05 Franken, in der Zentralschweiz oder im Wallis teilweise bis zu 20 Rappen weniger. Solche frappanten Preisunterschiede sind keine Ausnahme, sondern seit Jahren Tatsache. Wie begründen die Treibstofflieferanten diese Differenzen?
Umgebungswettbewerb
«Die Säulenpreise sind unter anderem von den Betriebskosten abhängig (z.B. Miete) und vom Wettbewerb in der näheren Umgebung. Hinzu kommt, dass wir im Netz auch unabhängige Tankstellen haben, welche Shell Treibstoffe auf eigene Rechnung verkaufen», erklärt Jane Nüssli, Medensprecherin bei Shell Schweiz, auf Anfrage.
Das sagt der Preisüberwacher
Dass die Benzin- und Dieselpreise unter anderem vom “Wettbewerb der näheren Umgebung” abhängig sind, ist offenbar weder für den Schweizer Preisüberwacher noch für das Sekretariat der Wettbewerbskommission WEKO ein Indiz, dass es regionale Preisabsprachen geben könnte: «Der Preisüberwacher hatte letztes Jahr die Idee lanciert, auch für die Schweiz einen Spritpreisrechner nach österreichischem Vorbild einzuführen. Er erhoffte sich damit verstärkten Druck auf die Unternehmen gerade bei sinkenden Rohölpreisen. Dieses Ansinnen wurde vom Parlament abgelehnt. Die Qualität der Daten des TCS-Vergleichservices (welcher aus den Bemühungen des Preisüberwachers für eine staatliche Lösung hervorgegangen ist) muss sich nun im Alltag beweisen. Preisbeobachtungen mit Echtzeitdaten sind deshalb für die Schweiz nach wie vor nur mit grossem Aufwand möglich», hält Jana Josty-Widmer von der Preisüberwacher-Medienstelle fest und verweist gleichzeitig auf das Sekretariat der Wettbewerbskommission.
«Zulässiges Parallelverhalten»
Auch beim WEKO ortet man hinsichtlich der grossen Preisunterschiede in unserem Land keine Unlauterkeit: «In Zusammenhang mit möglichen Preisabreden ist zunächst zulässiges Parallelverhalten von Unternehmen von (Preis-)Abreden im Sinne des Kartellgesetzes zu unterscheiden», erläutert Vizedirektorin Andrea Graber Cardinaux auf Anfrage. «Parallelverhalten zeichnet sich dadurch aus, dass mehrere Unternehmen unabhängig vom Marktverhalten anderer und ausschliesslich aufgrund von Faktoren, welche die im relevanten Markt tätigen Unternehmen nicht beeinflussen können, mit gleichem oder gleichförmigem Marktverhalten agieren und reagieren. Ein solches Parallelverhalten ist oft in Märkten mit homogenen Produkten zu beobachten. Benzin und Diesel stellen solche homogenen Produkte dar, bei denen der Wettbewerb praktisch nur über den Preis spielt. Bei solchen homogenen Produkten macht es für Konsumentinnen und Konsumenten (fast) keinen Unterschied, ob bei Tankstelle «A» oder «B» gekauft wird. Konsumentinnen und Konsumenten sind beim Kauf von Benzin und Diesel daher oft sehr preissensitiv, d.h. senkt eine Anbieterin (Tankstelle) den Preis, so reagieren die Konsumentinnen und Konsumenten vergleichsweise schnell. Andere Tankstellen ziehen mit dem Preis nach, da diese ansonsten Umsatzverluste zu erwarten hätten. Ist ein Markt zusätzlich noch relativ transparent, beispielsweise in einer überschaubar grossen Region, so führt dies vielfach dazu, dass sich die Treibstoffpreise in einer Region sehr rasch anpassen und sich in einem sehr engen Preisband bewegen. Es kann daher auch gerade Ausdruck von Wettbewerb sein, dass es überall gleiche Preise für diese homogenen Güter in einer Region gibt. Identische Preise an sich sind daher nicht allein ausreichend, um auf allfällige (Preis-)Abreden zwischen den Tankstellen schliessen zu können. Preisunterschiede zwischen verschiedenen (auch angrenzenden) Regionen können beispielsweise auf unterschiedliche Kostenstrukturen, eine unterschiedliche Wettbewerbsintensität oder eine unterschiedliche Preissensibilität seitens der Konsumentinnen und Konsumenten zurückzuführen sein.» In letzten Jahren habe es jedenfalls «keine Anhaltspunkte für unzulässige Verhaltensweisen gegeben, die eine Eröffnung eines Verfahrens gegen bestimmte Unternehmen gerechtfertigt hättenۚ», hält das Sekretariat der Wettbewerbskommission WEKO weiter fest.
Es bleibt wie es ist
So einleuchtend die zuvor juristisch fundierten Begründungen für Endverbraucher auch klingen mögen – oder auch nicht – so klar dürfte für Nordbündner, Sarganserländer und Rheintaler Autofahrer die Zukunft ausschauen: Sie werden für Benzin und Diesel demnach weiterhin deutlich tiefer in die Tasche greifen als die meisten übrigen Schweizer.