Zugegeben: Es gibt Sportarten, da ist es schwieriger bis fast unmöglich, an Weltmeisterschaften teilzunehmen. Und auch noch Weltmeister zu werden, dafür stehen die Chancen auf dem Minimum. Nicht so für Joseph «Sepp» Ruoss, er hat dies erreicht. Die Leistungen des Schübelbachners sind einzigartig. Nicht alltäglich ist seine Leidenschaft, die er nun seit vielen Jahren ausübt: Long Range Vorderlader schiessen. Also schiessen mit einem eigens dafür angefertigten Gewehr auf die lange Distanz.
Entstanden ist die Szene in den 80er-Jahren. Die Schwarzpulver-Schützen waren in den Beresina-Regimentern organisiert. Streng nach dem Vorbild der Soldaten Napoleons, inklusive der entsprechenden Uniformen und Ladetakten mit den Militär-Musketen. Das hat sich heute zum präzisen Schiesswesen gewandelt. Speziell am Sportgerät ist: Die Gewehre und die Pistolen werden nach historischem Vorbild von vorne mit Schwarzpulver, Zündhütchen und Geschoss geladen, deshalb der Name «Vorderlader». Alles ist ehrliche Handarbeit. Dazu braucht es auch hochpräzise Läufe, um überhaupt so weit zu kommen, dass ein Geschoss auf maximal 1200 Yards (914 m) haargenau ins Ziel kommt. Das ist alles andere als einfach.
Als gelernter Büchsenmacher hat Sepp Ruoss einen Vorteil gegenüber anderen Schützen. Er weiss, wie man ein Gewehr auf- und zusammenbaut. Die Geschosse sind aktuell aus Weichblei und allesamt selbst zuhause gegossen. Das ist ein konstantes Tüfteln nach der optimalen Form. Momentan haben die Bleikugeln fünf Rillen, die mit Fett gefüllt werden wollen. Nun probt Ruoss eine andere Art Geschoss, von der er sich viel verspricht. Eine Blei-Zinnlegierung soll es sein, ohne Rillen, dafür mit einer Papierumhüllung. 100 Geschosse kann Ruoss in der Stunde herstellen, davon kommen 80 in die engere Auswahl, um verschossen zu werden. Bei Tausenden von Geschossen sind das viele Stunden Arbeit. Zumal jedes Geschoss noch weiter bearbeitet und kalibriert werden muss.
So kommt für einen Wettkampf ganz viel Gewicht zusammen. Nur schon die Geschosse machen 15 Kilogramm Gewicht an Blei im Handgepäck aus. Dazu kommen die Gewehre und weitere Utensilien. «Ein riesiger Aufwand, der im Gegensatz zu anderen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, nicht vom Verband bezahlt wird», so Ruoss. Der Erfolg ist gross. Zum Weltmeistertitel hat es gereicht, zahlreich zieren Medaillen und Trophäen die Wand. Alles wird selbst organisiert. «Das Schöne an der Sache ist, dass wir Vorderladerschützen weltweit eine grosse Familie sind», erklärt Sepps Frau Silvia, die durch ihren Mann ebenfalls zum Vorderladerschiessen gekommen ist und auch erfolgreich war. So wurde sie 2007 ebenfalls Weltmeisterin über 600 m mit neuem Weltrekord. Etliche Medaillen an der Wand zeugen von ihren und Sepps Erfolgen. Sie hat vor ein paar Jahren mit diesem Schiesssport aufgehört.
Um Erfolg zu haben, braucht es vor allem Zeit und Erfahrung. Zuerst wird über die Kurzdistanz geschossen, wo man sich an die Eigenarten des Vorderladerschiessens herantasten kann. Dann kommen die Mittel- und die Langdistanz zwischen 300 und 914 Metern dazu. «Die längste Einsatzdistanz, die mit solchen Vorderladern geschossen werden kann, sind 1200 Yard, also gut 1100 Meter», weiss Ruoss zu erzählen. Es gilt auf diese langen Distanzen, den Wind genau im Auge zu behalten. Die Flugbahn des Geschosses weicht bis zu 17 Meter auf einer Kurvenbahn von der geraden Linie zwischen der Mündung und des Ziels ab. So kann es einem ungeübten Schützen passieren, dass er im Verlaufe eines Wettkampfs keinen einzigen Schuss auf der Scheibe hat. Je nach Wettkampf steht auch niemand zur Verfügung, der während des Schiessens korrigierend oder unterstützend zur Seite stehen kann. «Der Sport findet wie Skifahren auch draussen statt, also müssen wir diese Bedingungen akzeptieren», sagen Sepp und Silvia Ruoss. Zumal diese Bedingungen für alle gleich sind, denn in der Regel wird zwischen den Schützen nach jedem Schuss abgewechselt.
Viele üben diese Sportart denn in der Schweiz auch nicht aus. Die Anzahl an Schützen und vor allem Schützinnen in der Schweiz ist sehr überschaubar. So kommen gerade einmal zirka 20 an die Schweizer Meisterschaften. An die WM darf, wer sich anmeldet, die Kosten und die Strapazen auf sich nimmt. Belohnt wird man mit einzigartigen Begegnungen und Wettkämpfen an interessanten Orten.
Nicht nur, dass junge Schützen für diese Sparte des Schiesswesens fehlen, auch das Ausüben wird immer schwieriger. Früher war es einfach, auch dank Beziehungen auf Schiessplätze der Armee zu kommen. So zum Beispiel auf dem Schiessplatz Wichlen in Elm. Nun, da diese Plätze zentral verwaltet werden, ist es auch ein administrativer Aufwand, der zum restlichen dazu kommt. Ein Aufwand, der eh schon enorm gross ist und viele davon abhält, ebenso mit dem Vorderladergewehr zu schiessen. Nicht nur gilt es, jahrelang herumzupröbeln, seine Geschosse stundenlang selbst herzustellen. Nein, auch nach dem Wettkampf, der bei jedem Wetter draussen einige Stunden dauern kann, muss das Gewehr ebenso lang wieder gereinigt und geputzt werden. Dazu wird alles auseinandergenommen und dann wieder fein säuberlich zusammengesetzt. Das ist beim Kleinkaliber- oder Luftgewehrschiessen wesentlich einfacher und für Junge attraktiver.